Letzte Änderung: 17.12.2017 um 13:49:47 ● Erstveröffentlichung: 16.12.2017 ● Autor: Muħammad Ibn Maimoun
Erläuterungen: {erh.} = „Erhaben und herrlich gepriesen sei Gott“ / (s.) = „Segen und Friede sei mit dem Propheten“

Induktion als aposteriorisch erworbenes Grundprinzip

Durchaus kann man bereits die in jedem klassischen Analogieschluss steckende ad-hoc-Verallgemeinerung als Induktion bezeichnen - die Basisinduktion. Doch es ist das  probabilistische Schema „Je ausnahmsfrei häufiger, desto sicherer“, das man stereotyp mit dem Prinzip der Induktion verbindet. Dieses ist nun weniger apriorisch, als seine Fundamentalität zunächst nahelegen mag.

Grob idealisiert (natürliche Störungen, biosystemische Schwankungen und individuelle Ausprägungen des Prinzips ignorierend) ließe sich der Grundsatz der probabilistischen Induktion in die folgende Formel gießen, wobei p (für probability) die sich ergebende Wahrscheinlichkeit, k die Summe der Koinzidenz und ihrer Wiederholungen, d (für deviations) die Anzahl aller Abweichungen und a die Anfangswahrscheinlichkeit (bzw. Anfangssicherheit) darstellt:

p(k,d)=kk+d+1a1

Zur Erklärung der Formel, mit einigen synthetischen Definitionen vorweg:

Eine Koinzidenz sei ein beliebiges gemeinsames Auftreten eines Primär- und eines Sekundärphänomens (wobei das Primär-Sekundär-Verhältnis beispielsweise in der zeitlichen Reihenfolge des aufeinanderfolgenden Auftretens der Phänomene bestehen mag, es könnte ansonsten aber auch in einem Substanz-Eigenschaft-Verhältnis o.a. bestehen), z.B. Kaffeetrinken und ein kurz darauf einsetzender, merklicher Anstieg der Herzfrequenz. Eine Koinzidenzverstärkung sei das wiederholte Auftreten der Koinzidenz in (hinreichend) genau demselben Primär-Sekundär-Verhältnis. Eine Abweichung sei das Auftreten des Primärphänomens ohne das Sekundärphänomen (z.B. mit einem anderen als diesem).

Als Substitut der Basisinduktion wählt jede andere Induktion selbstredend eine Anfangswahrscheinlichkeit von weniger als 100 % für eine erstmalige Koinzidenzverstärkung innerhalb der potentiellen Kette von Verstärkungen. Der tatsächliche Wert ist fluid und richtet sich (im Idealfall) nach dem jeweils bisherigen Stand der Erfahrung, die das Subjekt mit Koinzidenzverstärkungen und Abweichungen in (zu Beginn der Empirikreifung allen, später eher nur ähnlichen) anderen Fällen als dem jeweiligen betrachteten Fall gemacht hat, oder wird im Rahmen einer Regulierung durch die innere Automatik (d.h. wohl genetisch bzw. neurologisch) gesetzt oder beeinflusst.

Wenn wir nach dem erstmaligen Auftreten einer Koinzidenz für das nächste Auftreten oder Herbeiführen des Primärphänomens mit einer Anfangssicherheit von 50 % („völlig ungewiss“) davon ausgehen, dass diese Koinzidenz verstärkt wird, ist dies äquivalent zu der methodischen Annahme einer bereits vorausgegangenen Abweichung (Reduzierungen von 100%-Wahrscheinlichkeiten sind in der Empirik ja Ausdruck von aufgetretenen äußeren Widersprüchen), die Koinzidenz ist eine von zwei relevanten Ereignissen, nur so kann die Wahrscheinlichkeit für die erste zu erwartende Koinzidenzverstärkung ½ bzw. 50 % betragen. Bei einer solchen Anfangswahrscheinlichkeit lautet die Formel:

p(k,d)=kk+d+1

Der Summand 1 im Nenner steht für die Anzahl der methodisch vorausgesetzten Abweichung(en). Realistischer ist es jedoch, von viel geringeren Anfangswahrscheinlichkeiten auszugehen, da die Anzahl der „gescheiterten“ Basisinduktionen um ein enormes Vielfaches die Anzahl der erfolgreichen übertreffen wird. Da sich die  Anzahl der methodisch vorausgesetzten Abweichungen aus dem Kehrwert der Anfangswahrscheinlichkeit abzüglich 1 ergibt, ist anstelle des Summanden 1 einzusetzen:

1a1

Nach der Einsetzung ergibt sich die zu Beginn vorgestellte Formel, die für beliebige Anfangswahrscheinlichkeiten gültig ist.

Aposteriorität

Um zu beweisen, dass der Grundsatz einer höheren Induktion, wie er sich durch eine solche oder eine ihr hinsichtlich des induktiven Zwecks gleichkommende Formel beschreiben lässt, a priori zur Empirik gehört, müsste gezeigt werden, dass ohne ihn von Anfang an auf Empirik basierendes Urteilen undenkbar wäre und nie zustande kommen könnte.

Doch das Gegenteil ist der Fall, nämlich, dass sich zeigen lässt: Es genügt die Voraussetzung der Basisinduktion (freilich nebst gewisser Rahmenbedingungen wie konsequente Anwendung und Fähigkeit zu Perzeption und Abstraktion), damit die Empirik eine der Anwendung der Formel nahe kommende Methodik entwickelt. (Sicherlich ist die stereotype Induktion extrem fundamental - doch sind Fundamentalität und Elementarität zweierlei.)

Dies beruht darauf, dass für die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer antizipierten Verstärkung, so dies von ihren kategorischen Eigenheiten unabhängiggestellt werden soll, auf die Erfahrung mit allen bisherigen (noch hinischtlich des Speichervermögens einbeziehbaren) Konzidenzketten zurückgegriffen und die Wahrscheinlichkeit einer Verstärkungsrolle für jede Station innerhalb der Kette nach drei Faktoren (unbewusst) beurteilt werden kann:

Zur Vedeutlichung stellen wir in dem folgenden Beispiel die Überlegung zu abweichungsfreien Ketten von Koinzidenzen allgemein an, d.h. Ketten, in denen bisher auf das Primärphänomen X bei jedem Mal das Sekundärphänomen Y folgte und somit die Koinzidenz XY zwei Mal verstärkt wurde und nun die Frage nach der Wahrscheinlichkeit einer Verstärkung in Station III besteht (vor dem Doppelpunkt steht jeweils die Erstkoinzidenz):

      I  II III
XY : XY  XY  XY

Als Erfahrungsschatz nehmen wir zwei bereits vorausgegangene Ketten von je vier Koinzidenzen an:

      I  II III
AB : AE  AF  AG
CD : CD  CD  CD

Offensichtlich wurde AB und auch sonst etwas mit einem Primärphänomen A bisher nie verstärkt, die Koinzidenz CD aber immer. Die Erstkoinzidenz und das Eintreten ihrer Verstärkung einerseits und ihr Nichteintreten andererseits lassen sich binär darstellen:

      I  II III
1 :   0   0   0
1 :   1   1   1

Es ist in diesem Beispiel festzustellen:

Ganz basisinduktiv ergibt sich auf dieser Erfahrungsgrundlage, dass Station-III-Verstärkungen bis auf Weiteres prinzipiell mit einer Sicherheit von 83,3 % zu erwarten sind.2 Nach Anwendung derselben Methode alle Stationen bis III betreffend ergibt sich tatsächlich eine Kette ansteigender Erwartungssicherheit: 50 %, 70 %, 83,3 %. Diese ist den ersten Ergebnissen der Wertetabelle unserer Induktionsformel nicht unähnlich, auch wenn diese deutlich moderater ansteigen: 50 %, 66,6 %, 75 %, ...

Eine Deckungsgleichheit ist nicht unbedingt erforderlich, denn die Gestalt des Anstiegs hängt nicht von einer idealisierenden mathematischen Formel, sondern von zweierlei anderen Faktoren ab, nämlich zum einen vom Volumen der zugrundezulegenden Erfahrungsdaten, die in dem wie im Beispiel angeführten Maß mehr als spärlich sind und jedem Begriff der nötigen Mannigfaltigkeit spotten, und zum anderen von der raumzeitlichen Beschaffenheit der Welt, in welcher sich das Subjekt befindet. Eine je genauere Induktionskurve ist also in gewisser Hinsicht eine umso genauere Abbildung der Welt, worin sicherlich die Geeignetheit der Empirik als Urteilsinstrument wurzelt.

Das nächste Beispiel vergrößert daher das Volumen der Erfahrungsdaten (natürlich nach wie vor längst nicht vollkommen ausreichend) und wählt zugleich für diese eine Zusammensetzung, welche der Erforderlichkeit der Berücksichtigung der möglichen Beschaffenheit der Welt Rechnung tragen soll. So bestehen sie aus 10 Stationen durchlaufenden 35 Koinzidenzketten, von denen drei Fünftel von einem Zufallsgenerator produziert wurden, und die restlichen beiden Fünftel, um die Naturgesetzlichkeit der Welt zu simulieren, in absichtlicher Festsetzung zu gleichen Teilen jeweils aus völlig abweichungsfreien Ketten  aus völlig verstärkungslosen Ketten.

Die benötigten umfangreichen Berechnungen wurden natürlich nicht von Hand durchgeführt, sondern anhand einer softwaretechnischen Realisierung der beschriebenen Vorgehensweise als Algorithmus (Higher Induction Genesis Simulator), durch den sich die auf Basis viel umfangreicherer Datenmengen vorgenommene Generierung von Induktionskurven simulieren und die Aposteriorität des Grundsatzes der stereotypen Induktion demonstrieren lässt.

      I  II III  IV   V  VI VII VIII IX   X
1 :   1
   1   1   1   1   1   1   1   1   1
1
:   1   1   1   1   1   1   1   1   1   1
1 :   1   1   1   1   1   1   1   1   1   1
1 :   1   1   1   1   1   1   1   1   1   1
1 :   1   1   1   1   1   1   1   1   1   1
1 :   1   0   0   0   0   0   1   0   0   0
1 :   1   0   1   0   0   1   1   0   0   1
1 :   0   1   0   1   0   1   1   0   1   0
1 :   0   1   1   0   0   0   1   1   0   1
1 :   1   0   1   1   1   0   0   0   1   1
1 :   1   0   0   0   0   1   1   0   1   0
1 :   0   1   1   1   0   1   1   0   1   0
0 :   1   0   0   1   0   1   1   1   0   1
1 :   1   0   1   0   0   0   1   0   0   0
0 :   1   1   1   0   0   1   0   1   0   1
1 :   0   0   1   0   0   1   1   0   0   0
0 :   1   0   0   1   0   0   1   0   1   1
1 :   0   1   0   0   1   0   0   1   0   0
0 :   0   0   1   1   0   0   0   0   0   0
0 :   1   1   1   1   0   1   0   0   0   0
1 :   0   0   0   0   0   0   0   0   0   0
1 :   0   0   0   0   0   0   0   0   0   0
1 :   0   0   0   0   0   0   0   0   0   0
1 :   0   0   0   0   0   0   0   0   0   0
1 :   0   0   0   0   0   0   0   0   0   0

Das Ergebnis kann sich sehen lassen, eine gewisse Verlaufsähnlichkeit zur Wertetabelle der Formel ist trotz der natürlichen Ausschläge nicht von der Hand zu weisen:

Empirisch (%):
51.247.0874.2771.5970.3387.0190.688.194.8196.07
Per Formel (%): 5066.6758083.385.7187.588.89090.90

Die Softwarerealisierung vereinfacht es, die Daten mehrerer Durchläufe zu sammeln, in einer Tabellenkalkulation zusammenzutragen und die Durchschnitte der Ergebnisse dieser Durchläufe zu berechnen:

Empirisch (%):
50.1760.2870.4374.2780.8285.849092.7191.694.45
Per Formel (%): 5066.6758083.385.7187.588.89090.90

Das dazugehörige automatisch erstellte Diagramm macht die Ähnlichkeit der basisinduktiven Entstehung des Induktionsprinzips zur vermeintlich mathematisch-apriorischen eindrucksvoll sichtbar:

Falls ein feiner abgestimmtes Verhältnis zwischen den Zufallsketten und den vollverstärkten und „vollapathischen“ Ketten, sowie eine größere Datenbasis noch genauere Übereinstimmungen herbeiführen sollte, wäre dies nichtsdestotrotz nur von größerem Belang, wenn die Formel tatsächlich u.a. eine Wiederspiegelung der Beschaffenheit der Welt darzustellen vermag.

Es sollte nicht vergessen werden, dass diese allgemeine Form des Induktionsprinzips selbst in seiner ausdifferenziertesten, auf Grundlage einer idealen Datenbasis zustandegekommenen Gestalt letztlich ähnlich wie die Basisinduktion nur als Fallback-Option dient, da für angemessene Urteile je nach Phänomenkategorie spezialisierte, unterschiedliche Induktionskurven entstehen können, entstehen werden und entstehen müssen.


1 Hier meint x statt 0, dass das Muster nicht davon abhängig ist, ob an der betreffenden Stelle tatsächlich eine Abweichung vorlag. In einer späteren Version dieses Artikels mag dies an dieser Stelle genauer erklärt werden. Informatiker seien hierzu derweil auf das Konzept der regular expressions verwiesen.
2 Angesichts der Tatsache, dass es sich hier um eine Überlegung für Station III einer abweichungenfreien Kette handelt und diese Station folglich zwei hypothetische Verstärkungen in der Kette voraussetzt, kann es bedenklich erscheinen, diese zwei (bzw. allgemein alle hypothetischen Verstärkungen vor hypothetischen Stationen abweichungsfreier Ketten) nicht in die Rechnungen einfließen zu lassen. Allerdings ist nicht nur wohl davon auszugehen, dass die Empirik in der Realität sich für die Heausbildung des vorliegenden Prinzips nur von der tatsächlich gemachten Erfahrung „beeindrucken“ lässt und trotz des Logikproblems die basisinduktive Verallgemeinerung vorerst so vornimmt - Empirik ist eben nicht Logik - , sondern auch, dass die hypothetischen Verstärkungen praktisch nicht ins Gewicht fallen, da in der Realität die Menge und Länge von erlebten Koinzidenzketten ab einem gewissen Zeitpunkt so groß ist, dass auch hypothetische abweichungsfreie Verstärkungen einer viel weiter als Station III hinausgehenden Kette de facto vernachlässigbar sind.