Schon die äußerst kühne Art und Weise der Rede des Koran, seine Herausforderungen und der Gegenstand dieser Herausforderungen, zusätzlich zu der nachweislichen persönlichen Überzeugtheit Mohammeds, lässt in psychologischer Hinsicht ausschließen, dass der Verfasser des Koran von menschlicher Natur gewesen sein könnte.
Um die Authentizität der Offenbarungen, mit denen Mohammed die Menschen konfrontierte, zu demonstrieren, forderte sie der Koran wiederholt heraus, etwas Ähnliches hervorzubringen wie ihn. Mit dem Koran trat Mohammed, der des Lesens und Schreibens Unkundige, wie Moses mit dem Schlangenstab und Jesus mit seiner gottgegebenen Heilkraft als den Authentizitätsbeweis schlechthin auf. Obwohl seine Heimatstadt Mekka und ihre Umgebung mit den hervorragendsten Dichtern der ganzen arabischen Geschichte aufwarten konnte, zumal die hocharabische Dichtkunst zu jener Zeit ihren Höhepunkt erreichte, begründete sich die Authentizität der koranischen Offenbarung ganz und gar durch ihren mirakulösen, da unnachahmlichen und damit übermenschlichen Charakter. In der Tat betrachteten die politischen Führer Mekkas die in der arabischen Sprache offenbar noch nie dagewesene Art und Weise koranischer Rede mitunter als den für sie gefährlichsten Faktor, und bezeichneten sie aufgrund ihrer Wirkung auf den Menschen gar als Hexerei. Eigentlich ist es zunächst nicht einmal nötig, genauer darauf einzugehen, worin jene sprachliche Unnachahmlichkeit des Koran besteht. Schon vorher wird der menschliche Verstand in diesem Zusammenhang mit einem Authentizitätsbeweis konfrontiert.
Denn man versetze sich mal in jemanden hinein, der fälschlicherweise behauptet, er sei ein gottgesandter Prophet mit der Botschaft, dass sich seine Umgebungsgesellschaft in tiefer Verirrung und Dummheit befindet. Seinem Ruf droht ein irreparabler Schaden, und plötzlich ist er aus gesellschaftlichen Gründen einem enormen psychischen Druck ausgesetzt. Als ob das nicht genug wäre: Ihm droht - typisch für die damalige Zeit - auch noch Tod und Folter, da er hart verfolgt wird, und wären nicht einige scheinbare Zufälle und andere günstige Umstände, wäre er längst hingerichtet worden. Man fordert von ihm Beweise für seine Prophetenschaft. Würden einer von uns es wagen zu sagen, sein Beweis sei die absolute sprachliche Unnachahmlichkeit seiner Scheinoffenbarungen? Wohl kaum, denn er riskierte in einem solchen Falle mehr als Kopf und Kragen - selbst wenn er der weltbeste Dichter und Literaturexperte wäre, ist die Gefahr natürlich zu groß, dass jemand doch etwas ähnliches hervorbringen und seinem Treiben ein jähes Ende setzen könnte. Ein falscher Prophet würde somit schon aus rein psychologischen Gründen nie die folgenden Dinge äußern:
Man beachte: Nicht einmal das Hervorbringen einer einzigen Sure sei in irgendeiner Weise möglich. Die kürzeste Sure im Heiligen Koran (Sure Nr. 108) umfasst gerade einmal 3 Verse! Und wer macht lautstark und wiederholt eine solch gefährliche (da bei Menschenwerk früher oder später immer widerlegbare) Aussage, ohne vollkommen überzeugt zu sein, dass sie wahr ist?
Aussagekräftig ist auch die übermenschliche Resilienz, die man bei einem menschlichen Verfasser annehmen müsste, die absolute Bereitschaft, es um der Wahrheit willen als Einzelperson notfalls auch völlig alleine mit allen Menschen aufzunehmen und sich zu opfern. Dies kommt an mehr als einer Stelle zum Ausdruck, in besonders ergreifender Weise aber an den folgenden, wo zwar die Propheten Noah und Hud zitiert werden, jedoch wie vom Koran gewohnt so, dass sich durch die historische Analogie die mekkanische Machtelite und sonstige Feinde in Mekka vom Koran und von Mohammed angesprochen fühlen sollen - wohlgemerkt vor der Auswanderung nach Medina, also in einer Zeit äußerster materieller Wehrlosigkeit und mitten in einem tiefen Konflikt:
Ob man Mohammed unterstellt, er sei der Verfasser des Koran, oder ob man es ihm nicht unterstellt - es führt in keinem Fall ein Weg um das Zugeständnis herum, dass Mohammed selbst vollkommen überzeugt davon war, den Koran als Eingebung offenbart bekommen zu haben. Schon der berühmte deutsche Philologe und Islamwissenschaftler Rudi Paret (gest. 1983) stellte fest:
„Der Vorwurf der Unehrlichkeit, der jahrhundertelang bis herunter in die neueste Zeit immer wieder mit mehr oder weniger Entrüstung gegen den Propheten erhoben worden ist, lässt sich verhältnismäßig leicht entkräften. Mohammed war kein Betrüger.“7
Eine letzte Zuflucht mag die Annahme scheinen, dass er sich die Eingebungen eingebildet haben könnte, doch auch dies lässt sich ausgesprochen leicht entkräften, da der Koran sich erkennbar als Verbalinspiration versteht (d.h. als buchstabenorientierte Eingebung) und eine solche sich in diesem Ausmaß erfahrungsgemäß weder einbilden noch träumen lässt. Und dies erst recht nicht bei dieser Art von Text, der bei Übernahme nur weniger seiner Eigenschaften (z.B. umfangreiche Reimmuster, rationale Argumentation etc.) zu seiner Hervorbringung eine so hohe Konzentration erfordern würde, dass das Unterbewusstsein unmöglich als seine Quelle angesehen werden kann.
Auch unabhängig von den damaligen gesellschaftlichen Umständen: Eine aufmerksame Lektüre des Koran lässt erkennen, dass sein Sprecher außerordentlichen Wert darauf legt, dass die Adressaten nicht den geringsten Zweifel an seinem göttlichen Ursprung haben. So ist es sogar gleichgültig, ob man als Sprecher denjenigen annimmt, der mit der Gesellschaft und ihrem Groll konfrontiert ist oder jemanden anderes - wer einen derart großen Wert auf das Erwähnte legt, würde auch als sozial uneingebundenes Subjekt die obigen Aussagen nicht tätigen und nicht im Offenbarungstext verewigen, ohne vollkommenes Wissen von der Unnachahmlichkeit des Textes zu haben.
So lässt sich bereits in psychologischer Hinsicht ausschließen, dass der Verfasser des Koran von menschlicher Natur gewesen sein könnte.
Die eben gemachte Feststellung bestätigt sich immer wieder auch im Kleinen, d.h. in Einzelstellen des Ehrwürdigen Koran, die nicht zur psychologischen Natur eines menschlichen Autors passen. Im Folgenden sei eine Beispielsammlung dieser Stellen aufgeführt. Die Elemente der Sammlung mögen überwiegend zwar lediglich Indiziencharakter besitzen, sind dennoch interessant und ergeben in der Summe einen weiteren gewichtigen Hinweis.
Daimonien (jinn) scheinen eine Nebenrolle im Koran zu spielen, in den Fokus rücken sie bis auf wenige Gelegenheiten allenfalls vertreten durch Iblîs bzw. den Satan, was zusätzlich zur hervorgehobenen Stellung Adams ein weiterer Anlass wäre, Daimonien rhethorisch dem Menschen nachgeordnet zu behandeln. Ein menschlicher Autor hätte hinsichtlich der erkenntnisfähigen Geschöpfe ohnehin tagtäglich kein einziges Daimonienwesen, sondern nur Menschen vor Augen. Unbewusst würde er - und wir alle - zweifellos in den meisten Fällen schlicht von „Menschen und Daimonien“ (al-ins wa l-jinn) reden, wenn er sie beide zusammen erwähnen wollte.
In der Tat reden - besonders koranferne - Muslime im Alltag oft genau so. So heißt ein bekannter ägyptischer Spielfilm al-ins wa l-jinn8. Das ist das aus psychologischer Sicht zu Erwartende, denn der Mensch denkt zuerst an sich, und erst dann andere andere Wesen (und erst recht, wenn diese unsichtbar sind). Beispielsweise liefert ein Suchvergang per Suchmaschine9 das Ergebnis „Menschen und Tiere“ ganze 24 Mal häufiger als das Ergebnis „Tiere und Menschen“.
Der Koran jedoch tätigt die Erwähnung an neun Stellen in der umgekehrten Reihenfolge: „Daimonien und Menschen“ (al-jinn wa l-ins). Nur an drei Stellen heißt es „Menschen und Daimonien“, effektiv sogar nur an einer einzigen Stelle, da die anderen beiden innerhalb von Zitaten vorkommen. Selbst die verbleibende Stelle lässt sich bezüglich der möglichen Weisheit der darin benutzten Reihenfolge erklären.
Sicherlich ist die unerwartete Reihenfolge der koranischen Lehre geschuldet, dass das Daimoniengeschlecht älter als die Menschheit ist, doch dies ändert nichts an der Erstaunlichkeit, mit welcher Konsequenz der Koran die der menschlichen psychologie widersprechende Reihenfolge umsetzt.
Im Bewusstsein der Menschheit und mehr noch im Bewusstsein der orientalischen Völker kommt der Osten vor dem Westen, zumal im Osten mit dem Sonnenaufgang der Tag beginnt und im Westen mit dem Sonnenuntergang endet. So wundert es nicht, dass noch heute, in einer Zeit, in der die Weltkarte an der westlichen Schreibrichtung gemessen mit dem Westen beginnt (damit angelsächsischen und europäischen Länder in der oberen Hälfte stehen können), nicht vom „West-Ost-“, sondern vom „Ost-West-Konflikt“, von der „Ost-West-Achse“ etc. die Rede ist. Dies macht der Koran in der Regel nicht anders und hat in der Regel auch keinerlei Grund dazu. Nun ist aus diesen Gründen davon auszugehen, dass ein menschengemachtes Buch, das bloße Fabeln erzählt, den Protagonisten einer solchen Fabel, der nacheinander in beide Himmelsrichtungen wandert, unbewusst zuerst nach Osten wandern lässt, und erst dann nach Westen. Darum ist es bemerkenswert, dass Sure 18:83 ff. in der Geschichte vom „Zweigehörnten“ (dhu l-qarnayn) jedoch berichtet, er sei zuerst nach Westen gewandert, bevor er sich zur äußersten Gegend im Osten begab.
Der Koran spricht von sechs Phasen der Schöpfung des gesamten Universums (incl. Erde), wobei er diese Phasen „Tage“ nennt. Anstatt die Entwicklungsgeschichte naiv über diese sechs Tage zu verteilen, stellt er diese - anders als die Bibel - als acht Tage dar und legt somit die Überlappung von Entstehungsphasen nahe (41:9 ff.), was im Einklang mit Erkenntnissen steht, die erst im modernen Zeitalter erworben wurden. Die moderne Kosmologie bestätigt in der Tat, dass sich die Phasen der Entstehung der astronomischen Objekte des Universums überschneiden. Auch psychologisch liegt hier ein Indikator vor: Das Detail der Überschneidung passt nicht zu jemandem, der in der damaligen Zeit einen Bericht mythologisierend lediglich erfindet (vergleiche die biblische Schöpfungsdarstellung).
Wollte ein Geschöpf etwas wie den Ehrwürdigen Koran erfinden, müsste es vollkommen und über alle Maße (ethisch) guter Gesinnung sein, weil nur von einem solchen eine von solch unbeugsamer (offensichtlich aufrichtiger) Gerechtigkeits- und Wahrheitsliebe kündende Rede stammen kann. Andererseits müsste es als Geschöpf wiederum abgrundtief böser Gesinnung sein, nämlich so böse, dass es zu behaupten imstande ist, seine Erfindung sei das Wort Gottes. Die damit verbundene anzunehmende kognitive Dissonanz lässt eine solche Vorstellung abenteuerlich erscheinen.
Die Umwälzungen, die der Ehrwürdige Koran in der Umwelt der ersten Adressaten anstrebte, sind unverkennbar Ziele von nichts weniger als einer tiefgreifenden Revolution. Anthropogene Revolutionen sind in der Regel von tiefen Aggressionen gegen das unmittelbar Ältere gekennzeichnet, und ihre Führer sind normalerweise permanent in höchster Sorge, Sympathien zwischen der alten und der neuen Generation könnten dem Zug der Revolution die Kraft rauben. Dementsprechend sollte es nur natürlich sein, wenn Vordenker und Führer menschengemachter Revolutionen über die Beziehung zu den Eltern ud Älteren mindestens schweigen, wenn nicht gar - wie z.B. in der Französischen Revolution - aktiv eine Trennung der Kinder von ihren Eltern anstreben, um sie unbeeinflusst von familiären Sympathien in Ruhe indoktrinieren und vom älteren Gedankengut isolieren zu können. Der Ehrwürdige Koran und auch die überlieferte Ususlehre des Propheten jedoch bestehen darauf, dass der Glaubende weiterhin zur Familie in herzlicher Verbindung bleibe, und ganz besonders, dass er gut zu seinen Eltern und ihnen ein erbarmungsvoller Gefährte sei, unabhängig von ihrer Religion (Suren 2:83, 2:215, 4:36, 4:151, 6:151, 17:23-24, 29:8, 31:14-15, 46:15). Freilich weist er ihn an, Befehlen ihrerseits, Gott etwas beizugesellen, den Gehorsam diesbezüglich zu verweigern, doch die Mahnung zur Elterngüte im Ehrwürdigen Koran ist so herausragend - sie wird mehrfach direkt nach dem größten Gebot erwähnt -, dass seine diesbezügliche Gelassenheit jeden, der in ihm die Initiierung einer anthropogenen Revolution sieht, in Erstaunen versetzen sollte.