► Druckversion (PDF)
► Textversion
► Lichtwort

Das Kurzhalten der Kleidung

(Copy-Paste-Version)

Die Hadithe zum Kurzhalten der Kleidung beziehen sich auf ein relativ kleines Detail der islamischen Rechtsgebung. Dieses sollte daher nicht überbewertet werden. Eine Unterbewertung sollte jedoch ebenso nicht erfolgen.

Immerhin hat sich der Gesandte Gottes dazu geäußert, und wenn wirklich ein sakrosanktes Verbot (harâm) vorliegen sollte, und sei es ein noch so kleines Verbot, wird es der fromme Knecht Gottes - in gewissem Sinne automatisch - strikt einhalten.

Folgendes sind die für das Kurzhalten der Kleidung relevanten Hadithe:

[Der Gesandte Gottes sagte:]

Hadith A
من جر ثوبه خيلاء لم ينظر الله إليه يوم القيامة
Wer sein Gewand aus Einbildung hinter sich her schleift, wird von Gott am Tage der Auferstehung nicht angeblickt.1
(bei Bukhâriyy und Muslim)

Hadith B
لا ينظر الله إلى من جر إزاره بطرا
Gott blickt einen, der seinen Izâr-Rock aus Überheblichkeit hinter sich her schleift, nicht an. (bei Bukhâriyy und Muslim)

Hadith C
ارفع إزارك إلى نصف الساق، فإن أبيت فإلى الكعبين، وإياك وإسبال الإزار فإنها من المخيلة، وإن الله لا يحب المخيلة
Hebe deinen Izâr-Rock bis zur Hälfte des Schienbeins. Wenn du das nicht willst, dann bis zu den Knöcheln. Und hüte dich vor der übermäßigen Verlängerung des Izâr-Rocks, denn das gehört zur Einbildung, und Gott liebt die Einbildung nicht.
(Abû Dâwûd u.a., mit guter bis einwandfreier Überliefererkette)

Hadith D
ما أسفل من الكعبين من الإزار ففي النار
Was sich vom Izâr-Rock unterhalb der Fußknöchel befindet, ist im Feuer.
(Bukhâriyy u.a.)

Mit كعب (kaeb) ist der Fußknöchel gemeint, denn das ist beim Körper die Hauptbedeutung dieses Wortes im Arabischen. Auch bei der rituellen Waschung wird der Begriffكعب in dem betreffenden Koranvers genannt, so dass wir unsere Füße bis zu den Fußknöcheln statt nur den Fersen waschen. Das Wort für Ferse ist dagegen عقب (eaqib).

Die weit überwiegende Mehrheit der Gelehrten schließt allerdings u.a. aus der mehrfachen Erwähnung der Einbildung und Überheblichkeit, dass nicht die bloße Überlänge des Gewands sakrosankt (harâm) ist, sondern die betreffende Handlung aus Einbildung bzw. Überheblichkeit heraus, so dass das Anziehen eines solchen Gewands ohne Einbildung oder Überheblichkeit erlaubt wäre - wenn auch unerwünscht (makrûh).

Insbesondere sehen sie sich in der Erlaubung durch die Fortsetzung von Hadith A bestätigt:

من جر ثوبه خيلاء لم ينظر الله إليه يوم القيامة
Wer sein Gewand aus Einbildung hinter sich her schleift, wird von Gott am Tage der Auferstehung nicht angeblickt.
(Bukhâriyy und Muslim)

Die Fortsetzung lautet: „Abû Bakr sagte [dann]: Gesandter Gottes, eine der beiden Seiten meines Izâr-Rocks lockert sich, es sei denn, ich halte ihn fest. Da sagte der Prophet (s): Du gehörst nicht zu denen, die es aus Einbildung machen.“

Vor diesem Hintergrund mutet es schon befremdlich an, wenn zum Extremen neigende Auskunftgeber unüberlegt behaupten, dass jeder, der - auch ohne Einbildung oder Überheblichkeit - seine Hose über die Knöchel hinaus verlängere, nicht nur etwas Sündhaftes begehe, sondern sich als Person schon im Feuer (!) befinde. Sie mögen sich dabei auf Hadith D beziehen, der jedoch weder von Hosen spricht2, noch direkt sagt, die betreffende Person selbst befinde sich im Feuer, sondern das überragende Stück des Rocks. Gemeint ist mit Letzterem wohl, dass diese Überlänge schlicht gefährlich ist und man sich vor einem Übergreifen des „Brandes“ auf den Rest der Kleidung hüten muss.3

Das muss allerdings nicht heißen, dass jene durchaus respektable Mehrheit der Gelehrten der Angelegenheit Genüge getan hat, denn die meisten von uns werden der Aussage zustimmen, dass die Mehrheit der Gelehrten in der Mehrheit der strittigen Angelegenheiten Recht haben mögen, jedoch noch immer eine Minderheit von Angelegenheiten übrigbleibt, bei der dies nicht unbedingt zutreffen muss. So könnten wir bei rechter Betrachtung der Sache trotz des bisher Gesagten zu einem etwas überraschenden Ergebnis kommen, nämlich, dass die Verlängerung des nicht-hosenartigen Gewands über die Fußknöchel hinaus auch ohne die Berücksichtigung der Einbildung oder Überheblichkeit als harâm zu bewerten oder die Unerwünschtheit (karâhiyah) zumindest sehr stark ist. Begründung:

1. Es gibt einen Hadith, der keinerlei Erwähnung von Überheblichkeit oder Einbildung beinhaltet, nämlich Hadith D.
2. Die Erwähnung des Feuers in Hadith D bedeutet zwar nicht, dass die betreffende Person sich automatisch im Feuer befindet, ist jedoch eine so starke Formulierung, dass sich die Feststellung der Sakrosanktheit geradezu aufdrängt.
3. Die Grenzsetzung bei der Hälfte des Schienbeins in Hadith C zeigt, dass schon knapp oberhalb der Fußknöchel eine Unerwünschtheit vorliegen kann – wie stark muss diese erst unterhalb sein?
4. Die Fortsetzung von Hadith A beinhaltet genauer betrachtet, dass Abû Bakr Schwierigkeiten hatte, das Gebot einzuhalten, so dass der implizit ausgesprochenen Erlaubnis wahrscheinlich diese Schwierigkeiten zu Grunde liegen und folglich ohne diese Schwierigkeiten eine eventuelle Sakrosanktheit nicht ausgeschlossen werden kann.
5. Der Prophet (s) sagte in der Fortsetzung nicht „Wer dies ohne Einbildung tut, darf dies machen“, sondern er sagte zu Abû Bakr „Du machst dies nicht aus Einbildung“, was keine allgemeine, den Hadith D relativierende Erlaubnis zur Folge haben muss, da der Satz sich an Abû Bakr persönlich richtet.
Falls jemand fragt, warum sonst der Gesandte Gottes (s) einen solchen Satz aussprechen sollte, so lautet eine mögliche Antwort, dass er ihn zur persönlichen Beruhigung Abû Bakrs ausgesprochen haben könnte. Die Beruhigung gälte so lange wie der Grund für den Bodenkontakt nur die Schwierigkeiten sind.
Gemeint sein könnte auch: „Deine Schwierigkeiten oder die Tatsache, dass es nur eine der beiden Seiten ist, zeigen mir, dass Du es ohne Einbildung tust. Wären diese Umstände nicht, wäre dies (gerade!) ein Beweis für Einbildung und somit für Dich verboten.“
6. Es ist nirgends sichtbar, ob den häufigen Erwähnungen der Einbildung (khuyalâ°) nicht in Wirklichkeit die Befürchtung oder gar das Wissen, eine solche könnte beim Tragen überlanger Gewänder entstehen, zugrunde liegt. Dies wäre ein weiterer (die Relativierung von Hadith D verhindernder) Aspekt, unter dem die Fortsetzung von Hadith A zu verstehen sein könnte. (Dieses Verständnis könnte vielleicht so formuliert werden: „Das übermäßige Verlängern ist auch ohne anfängliche Einbildung sakrosankt, und mit Einbildung noch schlimmer, und außerdem fördert es bei den meisten Menschen die Einbildung oder ist wie scheinbar in Hadith C sogar gleichbedeutend mit ihr, jedoch mit Abû Bakr als eine der wenigen Ausnahmen, von dem der Prophet (s) – möglicherweise durch Offenbarung – weiß, dass er es nicht aus Einbildung macht, so dass er eine „Sondergenehmigung“ erhält.“)

Aber es scheint, dass wir einigermaßen entwarnt werden können, denn erstens dürfen die Fußknöchel von dem Gewand anscheinend berührt und überdeckt werden (siehe die Formulierung „unterhalb der Fußknöchel“), so dass je nach Beschaffenheit des Fußes auch Abstände von wenigen Zentimetern über dem Boden möglich sind. Zum zweiten kann man, wenn man kein anderes Gewand gefunden hat und ein solches z.B. zur Bedeckung der Blöße beim Gebet gerade benötigt, dies vielleicht mit den Schwierigkeiten Abû Bakrs vergleichen.

Nicht unwichtig ist auch, dass in keinem der Hadithe von Hosen die Rede ist. Stattdessen wird Kleidung genannt, deren Verlängerung ein Schleifverhalten zur Folge haben kann, insbesondere der Izâr-Rock. Hosen kann man aber bekanntlich im angezogenen Zustand nicht hinter sich her schleifen, egal wie lang sie sind, und egal ob mit oder ohne Einbildung.

Das Argument, damals habe es keine Hosen gegeben, und darum sei die Deutung des Wortlauts auch auf Hosen auszuweiten, ist ungültig. Das Argument will wohl sagen, der Gesandte Gottes (s) hätte in dem Ausspruch sicher auch die Hose erwähnt, wenn er sie gekannt hätte. Doch erstens ist dies eine reine Vermutung. Zweitens gab es in jenem Zeitalter erwiesenermaßen sehr wohl Hosen, wie man an authentischen Hadithen erkennen kann, z.B. die Überlieferung bei Abû Dawûd und Tirmidhiyy, derzufolge der Prophet (s) an einem Handel beteiligt war, in welchem es um Hosen ging (s. auch Riyâd as-Sâlihîn Hadith Nr. 1375). Drittens wäre das Argument selbst dann nur sinnvoll, wenn Hosen eine Unterordnung der Kategorie des im Wortlaut genannten „Izâr-Rocks“ wären. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Zu guter Letzt wird berichtet, dass der Prophetengefährte €Abdullâh ibn Mas€ûd seinen Izâr-Rock lang zu tragen pflegte, und als er diesbezüglich gefragt wurde, gab er als Grund an: „Meine Beine sind sehr dünn.“ Er wollte sich also nicht der Lächerlichkeit preisgeben und hatte damit wie Abû Bakr eine Schwierigkeit. Auch wir leben in einer Gesellschaft, in der zu kurze Hosen in vielen Situationen als etwas Lächerliches, an vielen Orten sogar als etwas Peinliches und Unverschämtes angesehen werden.

Fazit: Über die Fußknöchel hinausgehende lange Gewänder und rockartige Kleidung sind, wenn nicht sakrosankt, so doch hochbedenklich, während Hosen gleich welcher Länge in dieser Hinsicht weniger ein Problem darstellen dürften, so Gott will, und Ihm gehört das Lob.

1 Komplettversion: عن ابن عمر قال: قال رسول الله (ص): من جر ثوبه خيلاء لم ينظر الله إليه يوم القيامة . فقالت أم سلمة : فكيف يصنعن النساء بذيولهن ؟ قال : يرخين شبرا . قالت: إذا تنكشف أقدامهن ، قال : فيرخينه ذراعا ، لا يزدن عليه
Ibn Umar berichtet, dass der Gesandte Gottes (s) gesagt habe: „Wer sein Gewand aus Einbildung hinter sich her schleift, den schaut Gott am Tage der Auferstehung nicht an.“ Da sagte Umm Salamah: „Wie sollen es dann aber die Frauen mit ihren Schleppen anstellen?“ Er sagte: „Sie sollen sie um die Länge einer Handspanne überhängen lassen.“ Sie sagte: „Dann werden ihre Füße entblößt.“ Er sagte: „Dann sollen sie sie um eine Ellenlänge überhängen lassen, nicht mehr.“
2 Auf das ungültige Argument, damals habe es ohnehin keine Hosen gegeben, und darum sei die Deutung des Wortlauts auch auf Hosen auszuweiten, wird etwas später im Text eingegangen.
3 Vgl. „وكل ضلالة في النار“ („Und jeder Irrgang befindet sich im Feuer.“) bei al-Bayhaqiyy und anderen, was ja nicht bedeuten muss, dass jeder mit einem Irrtum zwangsläufig im Feuer landen wird.