Die unübersichtliche Länge des eher organisch gewachsenen als systematisch angelegten Kontemplariums „Um das wahrhaft Würdige“ macht es ratsam, seine Früchte von seinen Zweigen zu pflücken und an dieser gesonderten Stelle zusammenzutragen.
Anders als in der Sektion „Ethik“ in der Abhandlung „Urteil und Erkenntnis“ legt dieser Artikel keine bloße Komprimierung oder geordnete Kurzalternative der Erschließungswege des kontemplativen Repositoriums „Um das wahrhaft Würdige“ und damit ein miniaturisiertes Strauchwerk vor, sondern weitestgehend nur die Ernte der Früchte des Repositoriums. Diese bestehen in Resultaten und Lehren, die sich im Zuge der kontemplativen Auseinandersetzung herauskristallisiert haben, und die in eine Gruppe apodiktischer Hauptlehren (primäre Theoreme) und eine zweite Gruppe apodiktischer Nebenlehren (sekundäre Theoreme) aufgeteilt zu werden sich empfohlen hat. Beide umfassen Thesen, die auf unumstößlichen Begründungen des Repositoriums ruhen oder von vorne herein evident sind. Anschließend wird eine dritte Gruppe hinzugefügt, nämlich diejenige der bloßen Hypothesen, über die nachzudenken lohnenswert sein könnte, bzw. die nützliche Perspektiven eröffnen.
1. Der zentrale Begriff der Ethik ist der Begriff der Würdigkeit1.
1.1. Er ist elementar (atomar).
1.2. Er ist ontisch (non-kontextuell).
1.3. Er ist objektiv bzw. ein Begriff des Intellekts.
1.4. Er fungiert weder als Spezifikation des Wesens noch als sonstige Spezifikation.
1.5. Ein Begriff, der weder mit ihm identisch ist, noch ihn als Komponente enthält, ist kein ethischer Begriff.
1.5.1. Kein anderer Begriff hat diese Eigenschaft.
1.5.2. Es gibt keinen anderen (so) fundamentalen Begriff der Ethik.
1.6. Er bildet den absoluten Horizont des menschlichen Urteilsvermögens.
2. Die allgemein anwendbaren und hinsichtlich ihres potentiellen Bezugsbereichs uneingeschränkten Urteilsbegriffe der Ethik leiten sich von ihm ab und sind ausschließlich: |würdig|, |unwürdig| und |indifferent|.
2.1. Die speziell Handlungen betreffenden und diese als Begründung der Beurteilung des sie ausführenden Subjekts qualifizierenden (also „normativen“) Urteilsbegriffe der Ethik sind ausschließlich: |obligat|, |verwerflich| und |indifferent|.
2.1.1. Diese leiten sich von den allgemein anwendbaren ab.
2.1.2. Nicht zu den Grundbegriffen der (apriorischen) Ethik gehören:
|geboten|, |verboten| und |erlaubt|.
3. Das Basisformat allgemeiner ethischer Urteile (Sätze) ist ausschließlich: |X ist würdig|
, wobei X ein Gegenstand beliebiger Art sein kann und weder auf Fakten oder Sachverhalte noch auf Handlungen bzw. Akte beschränkt ist.
3.1. Das Basisformat normativer ethischer Urteile leitet sich davon ab und ist ausschließlich: |X ist obligat|
(negativ: |X ist verwerflich|
), wobei X nur ein Akt sein kann. (Jedes normative Urteil ist ein ethisches, doch nicht jedes ethische Urteil ist ein normatives. Gleichwohl besitzt jedes ethische Urteil normative Relevanz.)
3.2. Jedes korrekte Urteil, das die handlungsspezifischen Urteilsbegriffe auf eine Handlung anwendet, gilt ausschließlich der als in ihr enthalten anzunehmenden Beimessung von Würdigkeit („Wertbeimessung“, „Wertschätzung“). In diesem Sinne ethisch bewertbares Handeln ist allein ein solches, das in einer Wertbeimessung wurzelt; kein anderer Sachverhalt kann ihm eine Bewertbarkeit jener Art verleihen.
3.3. Der rein aktionale Anteil einer Handlung, ohne die ihm zugrunde liegende Wertbeimessung und losgelöst von allem anderen, ist ethisch neutral und einer moralischen Beurteilung unzugänglich.
4. Der Fundamentalsatz („Ursatz“) der Ethik ist: |Würdiges ist würdig|
.
4.1. Außer ihm gibt es keinen ethischen Satz, es sei denn, er leitet sich von ihm ab.
4.2. Er ist entgegen seinem Anschein nicht tautologisch.
4.3. Das Wesentliche an ihm ist weder ein ontologischer Sachverhalt noch die Abbildung eines Faktums.
4.4. Das Wesentliche an ihm ist vielmehr eine Haltung: Wertbeimessung und Urteil. Gegenstand der Wertbeimessung ist die Idee des Würdigen (jedoch nicht als Idee, sondern als zunächst völlig unspezifiziertes Würdiges).
4.5. Er reflektiert die kategorische Bereitschaft (oder: die fundamentale Gewilltheit), Würdigem, unter welchen Umständen auch immer, und was es auch immer sein mag, falls es einem jemals in irgendeiner Weise begegnen sollte, in einem seiner (objektiven) Würdigkeit genau entsprechenden Maße (subjektive) Würdigkeit beizumessen. Die kategorische Bereitschaft vollzieht sich unvermeidlich als Wertbeimessung im Voraus.
4.6. Er ist der methodische Maßstab für die Gültigkeit ethischer Urteile einschließlich Allgemeingültigkeit beanspruchender Handlungsurteile („Normen“): Ein ethischer Satz bzw. eine Norm ist gültig, wenn ihm bzw. ihr zuwiderzuhandeln gewöhnlich dem Ursatz widerspricht, ansonsten ist sie keine gültige Norm. Jeglicher ethische Satz und jegliche Norm, der bzw. die nicht einwandfrei auf den Ursatz zurückgeht, ist ungültig. Von ihm leiten sich alle gültigen Normen ab.
4.7. Eine Handlung widerspricht dem Ursatz ausschließlich dann, wenn die ihrem Akt zugrundeliegende Wertbeimessung ihm widerspricht.
5. Ein ethischer Satz, zumindest befruchtet von der Realität, gebiert weitere ethische Sätze. Geeignet dazu macht ihn zweierlei:
5.1. Das eine ist, dass er im Kern eine Wertbeimessung ist und Wertbeimessungen anthropologisch und naturgesetzlich bedingt grundsätzlich mit Implikationen in Form von Folgewertbeimessungen oder zumindest als solche darstellbarer Haltungen und inklinativer Dispositionen einhergehen. Die empirische Kenntnis der naturgesetzlichen Regeln, nach denen sich dies vollzieht, ermöglicht die Angabe, ob eine bzw. welche Handlung höchstwahrscheinlich eine Wertbeimessung enthält, die der dem Ursatz gemäßen widerspricht. Denn das Ausbleiben einer feststehenden Implikation (das auch das Ausbleiben eines Ausbleibens und somit ein Akt sein kann) deutet im Normalfall auf einen grundpflichtwidrigen Mangel in den Wertbeimessungen des ethikfähigen Subjekts2.
5.2. Das andere ist, dass Würdigkeit Besitzendes nicht anders denkbar ist denn als etwas, auf das infolge seiner Würdigkeit Bezug zu nehmen (i.S.d. Einnahme einer Haltung um seinetwillen; anstatt es zu ignorieren) ebenfalls Würdigkeit besitzt. Dies impliziert gleichwohl die Würdigkeit der Vermeidung von Bezugnahmen, welche die Menge möglicher Bezugnahmen erwartungsweise langfristig verringern („wertwidrige Bezugnahmen“). Bei hinreichender Kenntnis relevanter Gegebenheiten lassen sich auf dieser Basis theoretisch weitere Sätze angeben, nämlich was die Pflichten eines ethikfähigen Subjekts sind, und was es zu unterlassen hat.
6. Schon allein aus dem Ursatz als einem ebenfalls ethischen Satz lässt sich hierdurch theoretisch das komplette für ein ethikfähiges Subjekt gültige Normensystem mit allen Pflichten und Unterlassbarkeiten ableitend konstruieren.
6.1. Die ethische Fundamental- und Generalpflicht eines jeden ethikfähigen Subjekts ist mit dem Gegenstand der kategorischen Bereitschaft (siehe Theorem 4.5) identisch.
6.2.1. Eine andere ethische Pflicht gibt es im Grunde nicht.
6.2.2. Gleichwohl tritt sie in unterschiedlichen Gestalten auf bzw. besteht aus zahlreichen Teilpflichten.
6.2.3. Alle anderen wahren Pflichten bestehen lediglich in diesen Gestalten bzw. Komponenten und resultieren aus ihr.
1. Absoluten bzw. absolut wahren Wert hat allein der Gegenstand der dem Ursatz vollkommen entsprechenden Wertbeimessung. Alles andere hat entweder nur relativen bzw. relativ wahren Wert, der ansonsten nur entliehen bzw. bloß extrinsisch ist, oder nur einen scheinbaren Wert, oder nicht einmal einen scheinbaren Wert.
1.1. Er ist der Urwertträger und Ursprung aller wahren Werte. Der Wert jegliches Anderen ist letztlich allein durch seine Würdigkeit bedingt.
1.2. Er ist kein Element der Wertehierarchie, sondern steht über ihr.
1.3. In der Hierarchie, in welcher der Urwertträger zu finden ist/wäre, gibt es sonst nichts außer ihm. Alles andere hat/hätte darin den Würdigkeitsrang 0 (unten) und er den Rang 1 (oben).
1.4. Das intrinsische, absolut wahre Wertzukommnis basiert nicht auf einer Wertbeimessung, sondern sie ist die (direkte) Wertbeimessung des ideal-abstrakten (!) Intellekts. (Die indirekte, sich über den Umweg der Psyche und in Form von Inklinationen vollziehende, ist entsprechend das indirekte, nur relativ wahre Wertzukommnis.)
2. Für die korrekte Herleitung jeglicher gültigen praktischen Norm sind zweierlei, und dass sie zusammenkommen, unabdingbar: a) Ein vorab bestehendes Zukommnis von Würdigkeit und die Kenntnis hiervon. b) Die Kenntnis der das Subjekt beherrschenden empirischen Gesetzmäßigkeiten der Wertbeimessung.
2.1. Die empirischen Implikationen von Wertbeimessungen lassen sich sowohl zu weniger als zwei Dutzend und diese wiederum zu drei Grundimplikationen zusammenfassen als auch die Faktoren angeben, nach denen sich die genaue bzw. konkrete Form der Niederschlagung in den Implikationen bestimmt:
2.1.1. Quasi alle jene Implikationen lassen sich nämlich als Ausprägungen der Bemühung um Wahrnehmung und der Interaktion in einem dem Grad der beigemessenen Würdigkeit entsprechenden Maß betrachten, oder sind irreduzible Haltungen, zu denen das Subjekt im Kontext von Wertschätzungen konditioniert ist.
2.1.2. Die genaue bzw. konkrete Form der Niederschlagung einer Wertbeimessung in ihnen bestimmt sich bei Menschen nach: 1.) Natur des Gegenstandes, 2.) conditio humana 3.) Relative axiologische Position des Gegenstands.
2.2. Einen normativen Satz als absolut-objektive Norm mag es zwar in der apriorischen Ethik nicht geben können.
2.2.1. Dafür aber kann es ihn - in der einen Sichtweise - als Abkömmling eines einem absolut-objektiven mindestens näherkommmenden Urteils geben, oder
2.2.2. - in der anderen Sichtweise - als Abkürzung für eine ein absolut-objektives Urteil voraussetzende, komplexe Prognose, z.B. „X ist obligat“ = „Ein Individuum mit a) akkurater Kenntnis eines gewissen Teils der Welt und b) einer ausgereiften und ungestörten conditio humana entsprechenden persönliche Natur und Umständen sowie c) einer mit dem Ursatz mängelfrei übereinstimmenden Urwertbeimessung3 wird X in Situation Y tun“ oder „... wird die Verhaltensmaxime X haben“ oder „…wird X als zu tun würdig (obligat) einstufen“.
2.3. Die Notwendigkeit bzw. die Gewissheit, mit der eine korrekte ethische Herleitung feststeht, wird durch die Unsicherheit in sie involvierter empirischer Betrachtungen nicht verringert. Auch wird durch ihre Unsicherheit im Zuge dessen festzustellende Obliganz oder Verwerflichkeit nicht beseitigt, sondern allenfalls abgeschwächt.
2.4 Die Wahrscheinlichkeit, mit der eine korrekte, allgemeine Norm für ein bestimmtes Individuum gültig ist, ist mit der Wahrscheinlichkeit vergleichbar, mit der ein gesprochener deklarativer Satz eine bestimmte deskriptive Bedeutung hat.
2.5. Wie ein Satz einen Sinn äußert, äußert ein Akt eine Gesinnung4.
3. Jede moralisch beurteilbare Handlung eines bestimmten Individuums (ein „Werk“) besteht aus zwei Komponenten, ohne die sie moralisch nicht beurteilbar ist, nämlich aus Absicht und Aktion (bzw. Akt). - Die Absicht, die einem willentlichen Akt zugrunde liegt, ist ihrerseits dreidimensional strukturiert bzw. setzt sich aus drei Komponenten zusammen, von denen jede „Absicht“ genannt werden kann:
Gesinnung: Ausrichtung auf einen finalen Wertträger
Vorsatz: Fassung eines Vorhabens
Hoffnung: Vergegenwärtigung einer Motivation.
3.1. Die in der Theorie einzige wesentliche unter diesen Komponenten für die Beurteilung der Handlung ist die der Gesinnung.
3.1.1. Sie ist die Urwertbeimessung, aus der alle anderen Wertbeimessungen des Individuums (wie auch diese aus einander) resultieren.
3.1.2. Sie konstituiert die wahre Identität der Person.
3.1.3. Auf ihr allein kann eine angemessene Be-/Verurteilung der Person letztlich beruhen.
3.1.4. Näheres zur Ontologie der Urwertbeimessung mit Bestimmtheit zu sagen, ist weder möglich noch nötig.
3.2. Die anderen beiden Komponenten können bei der Untersuchung zum tatsächlichen Vorliegen der ersten Komponente bzw. zur Identifikation ihres Gegenstands (finaler Wertträger) hilfreich sein, falls darüber Unklarheit besteht.
3.3. Der Wert des Vorhabens leitet sich vom Wert des finalen Wertträgers ab.
3.4. Vorhaben sind zumeist Vorhabenketten, in denen außer einem ultimativen Vorhaben jedes einem eigentlicheren Vorhaben dient.
3.5. Das Ausschlaggebende an einer Vorhabenkette für die moralische Bewertung eines Werks ist das Ultimativvorhaben.
3.6. Die Relevanz der Motivation ist eine ontologische und eine evaluative.
4. Eine optimale Urwertbeimessung schlägt sich zu allererst nieder in der Entscheidung oder im Grad der Bedingungslosigkeit der Entscheidung
des Subjekts, seine individuelle Wertehierarchie allein anhand des Kriteriums
wahrhafter Würdigkeit aufzubauen (entsprechend Theorem I 6.1). - Hierin zuallererst unterscheiden sich die „guten“ von den üblen Subjekten.
5. Die Begehung einer Verwerflichkeit hat für ihren Begeher grundsätzlich (u.U. mehr) Ablehnungs- bzw. Peinigungswürdigkeit zur Folge.
5.1. Die Vollbringung einer Würdigkeit hingegen verleiht ihm nicht unbedingt Belohnungswürdigkeit.
5.2. Das Recht zur Peinigung hat aber nicht unbedingt der Mitmensch.
6. Es ist zwischen dem skalaren und dem polaren Begriff der Würdigkeit zu unterscheiden.
6.1. Der polare Begriff ist derjenige, in welchem der Urteilsbegriff des Würdigen besteht, und auf welchem seine Komplementärbegriffe des Unwürdigen und des Indifferenten beruhen.
6.2. Der skalare Begriff konstituiert den Rang eines Wertträgers auf einer Werteskala bzw. in einer Wertehierarchie.
6.3. Die polaren Urteilsbegriffe der Ethik beruhen allesamt auf dem skalaren Begriff des Würdigen, der ihre gemeinsame Achse bildet:
6.3.1. Der Satz |X ist würdig [unwürdig]|
ist äquivalent zu: |X hat eine Würdigkeit, die höher [niedriger] ist als der Mittelpunkt der Werteskala|
.
6.3.2. Im Sinne des skalaren Begriffs haben objektiv auch extreme Unwürdigkeiten eine extrinsische Restwürdigkeit.
6.3.2.1. Diese zeigt sich in Dilemmata.
6.3.2.2. Die rein emotionale Wertschätzung ist ihnen jedoch in jedem Fall vollkommen vorzuenthalten.
6.4. Einen skalaren Elementarbegriff des Unwürdigen gibt es nicht (bzw. sein skalares Pendant ist nicht elementar).
7. Der Begriff der Pflicht ist derjenige der Kategorie einer Handlung, …
7.1. deren Unterlassung im Widerspruch zur Würdigkeit von irgendetwas oder irgendwem steht. (natürlicher Pflichtbegriff)
7.2. die ein Individuum, das Unwürdigkeiten grundsätzlich zu vermeiden bestrebt ist, zu tun genötigt ist. (zweiter natürlicher Pflichtbegriff)
7.3. die zu tun Würdigkeit besitzt. (synthetischer Begriff, äquivalent)
8. Der ethisch relevanteste natürliche Begriff des Guten ist zerlegbar.
8.1. Er ist derjenige des Liebenswürdigen, das nicht gehasst werden darf, oder des Lobenswürdigen, das nicht geschmäht werden darf.
8.2. Der Begriff des Bösen ist derjenige des Hassenswürdigen, das nicht geliebt werden darf, oder des Schmähungswürdigen, das nicht gelobt werden darf.
8.3. Ethiktheoretisch ist der Elementarbegriff der Würdigkeit leistungsfähiger als der Begriff der Gutheit.
9. Die Begriffe der Wichtigkeit und der Priorität gehören zu den Begriffen mit der größten Relevanz für Ethik und Moral.
9.1. Die beiden Begriffe sind miteinander nicht identisch.
9.2. Der Begriff der Priorität ist von dem der Wichtigkeit abhängig; umgekehrt ist das nicht der Fall.5
9.3. Die Wichtigkeit einer Handlung ist eine externe Implikation des Prioritätsbegriffs, die Wichtigkeit ihrer Bevorzugung eine interne: Priorität ist die Wichtigkeit der Bevorzugung einer Handlung gegenüber einer anderen.
9.4. Zwei Arten von Priorität sind zu unterscheiden: temporale („vertikale“) und voluminale („horizontale“) Priorität. Temporale kommt dem zu, dessen Umsetztung derjenigen von Anderem zeitlich vorzuziehen ist, voluminale Priorität dem, dem sich in höherem Maß oder mit größerer Intensität zuzuwenden ist.
9.5. Die höchste temporale Priorität besitzt stets diejenige Aufgabe, die, wenn man sie zuerst erledigt, man so am ehesten in der Lage ist, alle wichtigen Aufgaben zu erledigen oder zumindest alle diejenigen Aufgaben zu erledigen, denen in summa die höchste Wichtigkeit zukommt.
9.6. Es gibt keine dringenden Aufgaben ohne ein Minimum an Wichtigkeit.
10. Das Lexem der Wichtigkeit ist hauptsächlich mit zwei Begriffen verknüpft, einem deskriptiven und einem wertenden; demnach ist das Wichtige:
10.1. |was (als conditio sine qua non oder Teil von ihr) von großer Relevanz oder dezidierter Notwendigkeit (für etwas) ist|
10.2. |etwas, dessen Würdigkeit groß ist|
11. Nutzen ist eine direkte oder indirekte Verleihung, Vermehrung oder Bewahrung der Fähigkeit(en)/Möglichkeit(en) eines (lebenden) Subjekts, Ziele zu erreichen.
11.1. Es lässt sich unterscheiden zwischen objektivem und subjektivem, zwischen abstraktem und konkretem, zwischen fundamentalem und vordergründigem und zwischen universalem und individuellem Nutzen.
11.2. Wahrer Nutzen ist stets objektiv und hat wenigstens einen fundamental utilitären Aspekt (d.h. begünstigt die Möglichkeit der und Fähigkeit zur Erreichung von Zielen überhaupt und nicht nur bestimmter Ziele).
12. Würde ist Achtungswürdigkeit.
13. Achtung ist diejenige Wertbeimessung des Intellekts, welche diese beiden Neigungen bzw. Bestrebungen zur Folge hat:
13.1 Zu vermeiden, den Gegenstand der Wertbeimessung zum Gegenstand der eigenen (bloß naturbedingten) Neigungen und Interessen werden zu lassen.
13.2 Ihn so weit (und maximal so weit) ins eigene Wahrnehmungsfeld zu stellen und mit ihm zu interagieren, wie diese Neigung in der Wertbeimessung des Intellekts wurzelt.
14. Neigungen im engsten Sinn sind hauptsächlich: 1.) temporäre endogene Aufkommnisse, die das Individuum zu einer typischerweise sinnlichen Wohlseligkeit nach sich ziehenden Aktion zu bewegen geeignet sind („akute Neigungen“) 2.) die Disposition(en) zu ihnen („dispositionelle Neigungen“ oder „Neigungsdispositionen“).
14.1. Neigungen lassen sich als das Wollen einer zweiten Selbstheit betrachten.
14.2. Neigungen sind einerseits auf Genusserleben und die Erhöhung und Bewahrung der Wohlseligkeit des Subjekts („hedonischer Effekt“) ausgerichtet.
14.2.1. Dieses Ziel wird andererseits in der einzelnen Neigung durch das, was gemäß der Erfahrung zu ihnen führt, vertreten. Auf diesen Zielvertreter ist sie ausgerichtet, nicht so sehr auf den hedonischen Effekt6.
14.2.2. Die zielvertretenden Bezugsgegenstände der Neigungen lassen sich in zwei Kategorien einteilen: 1.) Anzugehendes: Aktionen des Individuums selbst , 2.) Herbeizuführendes: Fremdaktionen, Zustände und Situationen.
14.2.3. Die Generalneigung ist auf den hedonischen Effekt ausgerichtet, nicht auf einen bestimmten Zielvertreter.
14.3. Die Pluralität der Neigungen ist nur eine oberflächliche. Der Grund für ihre Pluralität liegt nicht in einer Mannigfaltigkeit der Neigung, sondern in der Mannigfaltigkeit der umgebenden Realität.
14.4. Triebe sind eine Subkategorie der Neigung. Sie unterscheiden sich von sonstigen Neigungen durch ihre Angeborenheit und evtl. Stärke.
14.5. Begierden lassen sich ebenfalls als eine Subkategorie der Neigung auffassen, insofern sie sich von den übrigen Neigungen durch den Konsumcharakter der von ihnen in Gang gesetzten Handlungen unterscheiden.
14.6. Neigungen sind keine Zwänge, auch wenn sie ihnen ähneln können.
14.7. Neigungsdispositionen lassen sich durch Kultivierung erzeugen und modifizieren.
14.8. In Folge seiner Ausreifung existieren im ethikfähigen Individuum zwei Mengen von dispositionellen Neigungen. Sie unterscheiden sich nicht in ihrem Wesen als Neigung oder hinsichtlich ihrer ontologischen Ausrichtung auf Wohlseligkeit, sondern nur hinsichtlich ihrer Herkunft: die eine wurzelt in der transzendentalen Wertschätzung (Anerkennung des Ursatzes), die andere in der Natur.
14.9. Ohne eine innere, übergeordnete Kontrollinstanz, der wirksam Einwendungen gegen Neigungsimperative einzubringen möglich ist, ist der Mensch abgesehen davon ein von seinen Neigungen (abgesehen von Zwängen, Reflexen und sonstigen Automatismen) voll gesteuerter Automat.
14.10. Aufkommende Neigungen setzen unmittelbar einen Aktionsprozess in Gang.
14.10.1. Die ersten Elemente des Prozesses können äußerst subtil sein.
14.10.2. Durch eine je höhere Selbstkonditionierung kann ein Akteur solche Prozesse umso frühzeitiger abbrechen.
14.11. Neigungen haben eine ähnliche Suggestionswirkung wie kommunikative Imperative.
14.12. Interessen verhalten sich analog zu Neigungen, mit dem einzigen Unterschied, dass sie auf Nutzengewinn statt sinnlicher Wohlseligkeit ausgerichtet sind.
15. Die Eigenschaft des Wollens verhält sich diametral umgekehrt zur Eigenschaft des Erlebens und Empfindens.
16. Das Wesen wahren Wollens liegt in einer Wertbeimessung; Wollen ist Wert beimessen.
17. Nutzen und Wohlempfinden sind inkommensurabel; Nutzenethik und Lustethik heben sich gegenseitig auf.
18. A priori gibt es keine Supererogation.
19. Imperative bilden Willensimpulse ab.
19.1. Ein kommunikativer Imperativ erzeugt im Adressaten kraft seiner Form den Eindruck, dass es keinen Raum für den Willen oder den Einsatz der Verstandesfähigkeit des Adressaten gibt, oder zumindest hat er den Zweck, die beiden zu unterdrücken oder zu umgehen.
19.2. Ihm liegt die Absicht zugrunde, eine andere Person zu einer gewünschten Haltung zu bewegen. Der Adressat wird kommunikativ der Physis des Senders als temporäres Organ sozusagen einverleibt.
19.3. Imperativsätze sind nicht in erster Linie dazu da, die Wichtigkeit einer Handlung mitzuteilen, sondern sie zu suggerieren, bzw. zu suggerieren ihre Ausführung sei wichtiger als die Umsetzung des eigenen Willens oder der eigenen Neigung.
19.4. Kommunikative Imperativsätze als sprachliche Gebilde sind nicht für Belehrungen, sondern zur Steuerung und Beeinflussung anderer Subjekte gedacht. Die Suggestionswirkung geht aber nicht unbedingt auf das Imperativchrakteristikum im Korrelat zurück, sondern auf die sprachliche Form des kommunikativen Imperativs und die mit dieser Form verknüpfte Empfänglichkeit.
19.5. Ein Imperativ, der in korrekter Weise als Folge an ein normatives Urteil geknüpft ist bzw. aus ihm folgt, ist nicht Teil des Urteils oder geht der von diesem als obligat beurteilten Handlung voraus, sondern ist als Akt auffassbar, der im Sinne ihrer Herbeiführung ein Teil von ihr ist.
20. Alles deskriptive objektive Urteilen ist ethisches Urteilen; in ihrem Innersten sind logische und empirische Erkenntnis rein ethische Wertbeimessung.
21. Es gibt einen rein deskriptiven Wertbegriff: Nach ihm ist Wert das Potential, im Tausch seines Trägers Nützliches einzubringen (ökonomie- bzw. kommerzrelevante Definition), oder das Potential, allgemein Nützliches einzubringen (allgemeine Definition).
1. Das Lexem des Werts ist zwar multikonzeptionell, doch unter seinen primären Begriffen befindet sich der Begriff der Würdigkeit in seiner primitiven Form nicht (allenfalls auf einer semi-sekundären Ebene).
1.1. Dennoch kann es metaphorisch zur Bezeichnung von Würdigkeit eingesetzt werden und eignet sich hierfür, wenn auch nicht uneingeschränkt.
1.2. Einer der primären Begriffe des Lexems des Wertes im Unterschied zu dem der Würdigkeit ist derjenige des Wertes als |in der Würdigkeit des maximalen Wohls gründende Würdigkeit| oder der |Würdigkeit, dass
1.3. Sinnlicher, utilitärer und wohl auch emotionaler Wert sind bloße Projektionen zur Ermöglichung der intellektbasierten und sprachlichen Handhabung des verhältnisses zwischen natural bedingten Inklinationen und ihren Gegenständen. Es gibt nur einen elementaren Wertbegriff, nämlich den des transzendentalen Wertes, bzw. den Begriff der Würdigkeit.
2. Es gibt mehrere Begriffe der Ehre, z.B:
2.1. |von der Gesellschaft verlangte Selbstachtung des Subjekts|
2.2. |subjektives oder objektives Recht auf Achtung vonseiten anderer|
2.3. |sozialer Rang| bzw. |Wert, dem die Gesellschaft einem beimisst|
3. Würde ist objektive Ehre.
4. Die Realität hinter dem Begriff der Einzelneigung vom kausal wirksamen Aufkommnis ist nicht die einzelner Aufkommnisse, sondern, dass sich jedes neigungsbestimmbare Individuum im Wachzustand permanent in einem Modus des schwebe- oder fallartigen Ansteuerns möglichst idealer Wohlseligkeit befindet.
4.1. Der Aufkommnis-Eindruck rührt lediglich daher, dass in der Vorstellung mehr oder weniger zufällig verschiedene Zielvertreter auftauchen, woraufhin das Individuum automatisch beginnt, auf den „besten“ Zielvertreter vorwärts „zuzuschweben“.
4.2. Jeder solche Beginn eines Zuschwebens markiert lediglich die nahtlose Fortsetzung eines schon zuvor im Gange gewesenen „Schwebens“ oder „Fallens“, mit dem einzigen Unterschied, dass dieses auf einen anderen Zielvertreter gerichtet gewesen war.
4.3. Das Schweben bzw. Fallen besteht in nichts anderem als in der Angehung oder Herbeiführung des Zielvertreters.
4.4. Der Modus der Bewegung in Richtung irgendeines Zielverteters wird praktisch nie unterbrochen, es ändert sich lediglich die Richtung (in Relation zu den anderen Zielvertretern, nicht in Relation zur Wohlseligkeit).
4.5. Diese Bewegung korrespondiert mit keiner physischen Bewegung der äußeren Realität, auch nicht mit derjenigen des eigenen Körpers. Sie existiert auch im Zustand vollkommener Ruhe.
4.6. Bemühungen können sie weder aufrechterhalten noch bremsen. Mühegefühle sind lediglich inkaufgenommene Begleiterscheinungen bestimmter Richtungen der Bewegung.
4.7. Wohl aber kann aufgrund eines konkurrierenden Zielvertreters die Dichte einer Aktion bzw. ihre Intensität gering ausfallen.
4.8. Die eigentliche Ursache für eine Richtungsänderung muss (trotz des möglichen Anscheins) nicht die Vorstellung von dem jeweiligen Zielvertreter sein.
4.8.1. Die eigentlichere Ursache steckt in einem völlig unterhalb jeder Bewusstseinsebene liegenden Mechanismus.
4.8.2. Sie kann aber denkmethodisch als solche behandelt werden.
5. Der „Wert“, den die sekundäre Selbstheit einem Zielvertreter beimisst, ist von demjenigen der Wohlseligkeit abgeleitet.
5.1. Er ist stets geringer als dieser.
5.2. Er ist umso höher, als je sicherer zur Wohlseligkeit führend er von ihr beurteilt wird, und je intensiver, länger und zeitnäher sie durch ihn in ihrem Urteil sein wird.
6. Es gibt auch Vertreter von Zielvertretern, die sich zu den Zielvertretern wie diese zur idealen Wohlseligkeit verhalten.
7. Neigungen produzieren ethische Korrelate.
8. Einem isolierten ethischen Korrelat lässt sich nicht ansehen, um welches finalen Wertträgers willen es gebildet ist.
9. Kommunikative Imperative haben nicht die Kategorie der in ihnen genannten Handlung zum Gegenstand, sondern…
9.1. primär die Angehung der Handlung und zeichnen diese als wichtig aus („Tue X“ bedeutet demnach: „Es ist wichtig, dass du das Tun von X angehst.“),
9.2. oder ihre Bewertung, d.h. dieser Handlungskategorie Wichtigkeit beizumessen („Tue X“ bedeutet demnach: „Es ist wichtig, dass du X zu tun Wichtigkeit beimisst.“).
10. Ethisch relevante, genuin moralische Entscheidungen kann es nur in Situationen einer bestimmten Art geben. Nur in solchen hat der Wille eines ethikfähigen Subjekts Gelegenheit zur Manifestation.
10.1. Die Anzahl dieser Situationen ist - abweichend von der subjektiven Wahrnehmung - über die Lebenszeit des Menschen dünn gesät und beträgt pro Jahr durchschnittlich womöglich nicht viel mehr als eine oder zwei.
10.2. Vollständige Absichten existieren nur in motivationalen Pattsituationen.
10.3. Es gibt für den Menschen ontologisch bedingt keine Möglichkeit, aus dem Stegreif außerhalb des Rahmens einer Motivation („sinnlich-kausaler Wertträger“) etwas vorzuhaben.
10.4. Eine direkte Entscheidung zwischen dem begrifflich-finalen und dem sinnlich-kausalen Wertträger findet nicht statt.
10.5. Eine ethisch relevante Entscheidungssituation ist eine Situation der Entscheidung zwischen der Verfolgung der einen Motivation und der nicht damit vereinbaren Verfolgung einer anderen, auf den Akteur gleich stark wirkenden Motivation.
10.6. In einer solchen Situation entscheidet sich der ethikfähige Akteur grundsätzlich für die Verfolgung derjenigen Motivation, deren Verfolgung der von ihm angenommenen Würdigkeit des präetablierten Fürgrundes subjektiv eher als die Verfolgung der anderen Motivation gerecht wird.
10.7. Der universale Imperativ des moralischen Lebens lautet: Wähle so weit wie möglich stets den würdigeren von zwei oder mehr Wegen des Trachtens nach deiner Glückseligkeit.
10.8. Der Mensch kann bis zu einem gewissen Grad selbst wählen, wovon und wofür sein Akteursystem motiviert wird; je nach dem, auf welchen Fürgrund sich eine Person ausrichtet, schwächt sie durch die Einblendung von Gegenmotivationen die eine Motivation und stärkt durch die Ausblendung oder Marginalisierung von Gegenmotivationen die andere Motivation.
11. Die Essenz des Bösen bzw. der Ursprung des Bösen schlechthin besteht in einem von zwei möglichen Sachverhalten:
11.1. Der Urwertbeimessung die Bedingung zugrundezulegen, dass es sich bei ihrem Gegenstand um die eigene Selbstheit handele, anstelle der Bedingung, dass ihr Gegenstand wahrhaft würdig sei.
11.1.1. Selbstloses Verhalten wird hierdurch nicht ausgeschlossen.
11.1.2. Ausgerechnet dies kann in einer regelrechten Selbstzerstörung enden.
11.2. In einem schlichten Defizit in der Urwertbeimessung in Bezug auf die Idee vom wahrhaft Würdigen (als nicht sofort bestimmbares Würdiges statt als Idee).
11.2.1. Dies schlägt sich in der Größe des Anteils derjenigen Inklinationen nieder, die nicht in der Ausrichtung auf das Würdige wurzeln,
11.2.2. und im Zuge dessen in der Häufigkeit der Situationen, in denen das Subjekt Spielball solcher Neigungen ist, einschließlich Situationen intellektgestützter Entscheidungen.
12. Was am ehesten die Urwahl der Seele genannt zu werden verdient, ist mit dem, was am ehesten seine Substanz genannt zu werden verdient, identisch.