Letzte Änderung: 08.08.2023 um 12:20:35 ● Erstveröffentlichung: 18.05.2023 ● Autor: Muħammad Ibn Maimoun
Erläuterungen: {erh.} = „Erhaben und herrlich gepriesen sei Gott“ / (s.) = „Segen und Friede sei mit dem Propheten“

Göttlichkeit und Gültigkeit: Zum Ursprung aller Werte

Ihren normativen Kern untermauert die Schrift Gottes eindeutig mit apriorischer1 Ethik, obgleich sie die Erkenntnis des Zusammenhangs der gesunden menschlichen Intuition überlässt und sich minutiös-abstrakter Herleitungen überwiegend enthält. Dennoch bleibt es nicht aus, dass Fragen zum Einklang zwischen göttlichen Geboten und a priori gültiger ethischer Werte aufgeworfen werden.

Der Sammlung und Beantwortung solcher Fragen wollen wir uns hier widmen.

Souveränität und Weisheit

Begonnen sei mit der wohl bekanntesten unter jenen Fragen:

Hat Gott Seine Gebote angeordnet, weil sie gut sind, oder sind sie gut, weil Er sie befohlen hat?

Mit der Stellung dieser Frage ist manchmal die Einleitung eines Plädoyers für eine der beiden Optionen und somit einer bevorzugten metaethischen Richtung wie z.B. den sogenannten moralischen Realismus, häufig aber wohl die Konstruktion eines Dilemmas beabsichtigt: Das eine würde scheinbar implizieren, dass es Werte gebe, die neben Gott  und unabhängig von Ihm und Seinem Willen objektiv gültige Werte sind, und womöglich sogar eine Beschränkung der göttlichen Handlungsmöglichkeiten bzw. einer Vorprogrammierung der Handlungen Gottes . Das andere hingegen würde scheinbar implizieren, dass Er Seine Gebote in einer jeder Weisheit entbehrenden Beliebigkeit, Willkür und Zufälligkeit ausgesucht habe. - Beides stünde in Konflikt mit der Göttlichkeit und grenzenlosen Würdigkeit einer allweisen und zugleich uneingeschränkt souveränen Gottheit.

Auflösung - kurz und grob

Doch das Dilemma entspringt einer reinen Suggestion und existiert in Wirklichkeit gar nicht. Es suggeriert nämlich und setzt ohne Beweis irrigerweise voraus, dass solange es nichts gebe, das unabhängig von Gott  gut sein könne, etwas allenfalls gut sein könne, wenn Gott  es befiehlt. Dies lässt sich leicht widerlegen: Gott  selbst ist gut (Sein Wesen ist ja keine Handlung, die befohlen werden kann), und weil das so ist und Gott  die Eigenschaft der Göttlichkeit hat, ist es außerdem gut, Ihn anzubeten. Damit wären dies schon zweierlei, die auch ohne befohlen zu werden und somit a priori zweifellos gut sind. Zugleich ist weder Gott  noch Seine Anbetung etwas unabhängig von Ihm Gutes, sondern Er ist allein Seiner selbst wegen gut, und angesichts ihrer Bezogenheit auf Ihn ist Ihm gewidmete Anbetung allein Seinetwegen gut. Hier gibt es also, ohne dass etwas befohlen zu werden braucht, genügend Gutheit, die allein Gott  zum Ursprung hat. Nebenbei zeigt sich hier, wie sehr das vorgebliche Dilemma ein in seiner Wichtigkeit nicht zu unterschätzendes Konzept ignoriert, nämlich das des Gutseins von etwas wegen etwas Anderem Guten. Dass Gott  nun auch geboten hat, Ihn anzubeten, erhöht die Gutheit dieser Handlungskategorie, und dies wiederum Seinetwegen, d.h. weil Er es ist, der es geboten hat. Somit stimmt hier für den an die Weisheit Gottes glaubenden Menschen beides, ohne dass irgendein logisches Problem feststellbar wäre: Gott  hat dieses Gebot angeordnet, weil es gut ist, und es ist gut, weil Er es angeordnet hat.

Verfeinerte Darlegung

Freilich war das nur eine grobe und verkürzte Darlegung. Eine einigermaßen verfeinerte und abstraktiv-dialektischen Ansprüchen eher genügende Auseinandersetzung sei im Folgenden dargeboten. Hierfür ersetzen wir aus „handwerklichen“ Gründen das begrifflich diffuse Lexem der Gutheit mit demjenigen der Würdigkeit, zumal die ganze Zeit über nicht das sinnlich oder technisch Gute gemeint ist, sondern das ethisch Gute, das erst durch die Komponente der Würdigkeit zu einem solchen wird.2 Die vorliegende „Frage“ fordert die Wahrheit heraus, dass es nichts gibt, das unabhängig von Gott  Würdigkeit besitzt, bzw. sie zweifelt die Möglichkeit von wahrhafter (vollkommener) Göttlichkeit an, welche ja genau das impliziert. Ihr relevanter Aspekt ist also:

Hat Gott Seine Gebote angeordnet, weil sie Würdigkeit haben, oder haben sie Würdigkeit, weil Er sie befohlen hat?

Zunächst stellen wir den Irrtum fest, welcher dem von dieser Frage suggerierten, sogenannten Euthyphron-Dilemma zugrunde liegt, nämlich dass es entweder a) von Gott  unabhängig Würdiges - hier Werte a priori - gebe, oder  b) allenfalls etwas von Gott  Befohlenes würdig sein könne. Beides stelle die Göttlichkeit bzw. Einzigkeit Gottes in Frage, „a“ durch Relativierung Seiner Würdigkeit und Einschränkung seiner Handlungsmöglichkeiten, „b“ durch das Fehlen jeglicher wahrhaften Weisheit in den göttlichen Anordnungen.

Es ist offensichtlich, dass das Dilemma zumindest ins Wanken gerät, sobald etwas Würdiges genannt wird, das nicht unabhängig von Gott würdig ist und hierfür nichts bereits Befohlenes sein muss. Und solches lässt sich zweifellos nennen, nämlich: Gott  selbst. In der Sicht des Theisten (dessen Standpunkt die Frage notwendigerweise einnimmt), so sein Theismus hinreichend konsequent ist, besitzt Gott  als Ursprung aller Würdigkeit unbestreitbar Würdigkeit und ist dennoch nichts Befohlenes, zumal Sein Wesen keine Handlung ist.

Und es ist offensichtlich, dass das Dilemma als vollends zerstört zu gelten hat, sobald ein weiteres Würdiges genannt wird, das diese Eigenschaft besitzt und zugleich zwar eine Handlung ist und befohlen werden kann, jedoch nicht erst bereits befohlen sein muss, um Würdigkeit zu besitzen. Auch solches lässt sich zweifellos nennen, nämlich: Handlungen um Gottes willen. (Unter den Handlungen sind sie sogar das einzige Gute und Würdige.) Solche besitzen auch ohne Befohlenheit unbestreitbar Würdigkeit, da sie nicht irgendwelche Handlungen sind, sondern Handlungen um eines Würdigen willen sind (d.h. seinetwegen bzw. aus Anerkennung seiner Würdigkeit). Solchen kommt notwendigerweise Würdigkeit zu, da dies in Abrede zu stellen sie mit Haltungen der Gleichgültigkeit gegenüber dem jeweiligen Würdigen gleichsetzen würde, was ethisch offensichtlich unzulässig ist.

Hier stellen wir den zweiten Fehler fest, der dem Fragesteller unterlief, nämlich die Vernachlässigung des Konzepts des Wertgewinns aufgrund eines positiven Bezugs auf zuvor Würdiges. Die primäre Implikation eines konsequenten Theismus ist hier nämlich nicht, dass die Würdigkeit von etwas stets auf einem Befehl Gottes beruhen muss (auch wenn dies durchaus der Fall sein kann), damit Gott  allein als die an und für sich wahre Wahrheit gelten, d.h. außer Gott  kein Wert einen anderen aus sich selbst begründen kann. Die hinreichende Hauptsache ist vielmehr, dass ohne Gott  und die Würdigkeit Gottes von der Würdigkeit irgendeines sonstigen Wertes nichts übrig bliebe, d.h. dass die Würdigkeit eines Konzeptes, eines Prinzips oder eines Dinges - gleichgültig ob wegen eines Befehls oder aus einem anderen Grund - allein von Gott abhängig ist.3

Wahrhafte Göttlichkeit ist ausschließlich die absolute und vollkommene Göttlichkeit, da jedes andere Konzept von Göttlichkeit widerspruchsbehaftet ist. Da diese impliziert, dass 1.) außer Handlung um Gottes willen (bzw. Ihm zuliebe) keine Handlung Würdigkeit besitzt und 2.) Gott die Eigenschaft der grenzenlosen Weisheit zukommt und Er somit nichts Würdigkeit Entbehrendes befiehlt, impliziert optimaler, korrekter und konsequenter Theismus, dass 1.) Gott keine Handlung befiehlt, die nicht ausschließlich um Seinetwillen ist, 2.) was Er befohlen hat, allein deswegen befohlen hat, weil das Befohlene (in welcher Weise auch immer) um Seinetwillen ist.

Dass Gott nun tatsächlich geboten hat, aktionale Haltungen um Seinetwillen anzunehmen, erhöht die Würdigkeit dieser Handlungskategorie, und dies wiederum Seinetwegen, d.h. weil Er es ist, der es geboten hat. Somit stimmt hier für den an die Weisheit Gottes glaubenden Menschen beides: Alles, was Gott geboten hat, hat Er geboten, weil es würdig ist, und es ist würdig, weil Er es geboten hat.

Da nun jemand meinen könnte, dass in diesem Fall die Optionen für das, was Gott überhaupt gebieten könnte, geringer Anzahl seien, bleibt lediglich die Frage bezüglich der göttlichen Souveränität und Freiheit. Hierfür kehren wir zu einer unrelativierbaren Ausgangsposition zurück: Es gibt (im Denkbaren) nichts Würdiges außer Gott (intrinsisch) und was um Seinetwillen als würdig einzustufen ist, mithin auch, was einfach um Seinetwillen ist (extrinsisch). Und hierum weiß Gott selbst am besten. Wir wissen mittlerweile, dass nichts gegen die Idee einzuwenden ist, dass Er verfügt, dass um Seinetwillen Handlungen welcher konkreteren Art auch immer getan werden, und nichts gegen diejenige, dass Er dies aufgrund Seines Wissens um ihre Würdigkeit tut. Dieses Seinige Wissen ist natürlich als im Voraus bestehend zu denken, d.h. bevor (d.h. unabhängig davon, dass) Er irgendetwas verfügt. Da wir dies ebenfalls wissen, können wir damit rechnen, dass Er tatsächlich verfügt hat, um Seinetwillen geschehende Werke zu vollbringen, und nichts anderes. Das beschränkt jedoch keineswegs die Anzahl und Vielfalt der Befehlbarkeiten, denn es mag - leicht peripatetisch ausgedrückt - im Denken die Essenz des Befohlenen (Handlung zu sein) und seine Substanz (um Gottes willen zu sein) festlegen, sagt jedoch wenig oder gar überhaupt nichts darüber aus, welche unter allen möglichen speziellen Formen (d.h. anhand ihrer Form bestimmbarer spezieller Arten) des Handelns um Seinetwillen Er auswählt, um sie zum Gegenstand Seines Befehls zu machen. Für diese Formen kommt immerhin unendlich vieles in Frage: Gebet, Fasten, Spenden an Bedürftige, ja vielleicht sogar gemeinhin als völlig themenfremd Erscheinendes, sei es eine Weile auf einem Bein stehend auszuharren, regelmäßig bestimmte Mengen Holz zu hacken, Obelisken aufzustellen oder anderes, solange es um Seinetwillen zu vollbringen ist. Ein kleiner Teil aller möglichen Handlungskategorien mag kraft kontingenter Faktoren4 durchaus ranghierarchisch strukturiert, priorisiert und als Ausrichtung auf Gott notwendiger oder angemessener sein als andere, gleichwohl ist Gott der alleinige Schöpfer dieser Faktoren, zudem umfasst häufig eine schon a priori auf höherer Stufe befindliche Form viele untereinander gleichwertige mögliche Subformen (z.B. kann Naturschutz sowohl in Form der finanziellen Unterstützung von Umweltprojekten als auch in Form politischer Aktivität ausgeübt werden), die sich axiologisch nur durch selektiven göttlichen Befehl voneinander abheben können. Obendrein verbleiben unendlich viele sonstige Formen des Handelns um Seinetwillen, die untereinander gleichwertig sind. Eine solche Form kann erst recht nur als würdig gelten, wenn Gott sie befiehlt, und dann wäre sie würdig, nur weil Gott sie befohlen hätte.5 Solange Gott sie nicht befiehlt, könnte sie nicht einmal dann als würdig gelten, wenn sie vermeintlich um Seinetwillen vollbracht würde, da sie Ressourcen in Anspruch nähme, die Handlungen höheren Ranges (die ihnen durch ihre speziellen Formen aufgrund von Befohlenheit oder apriorischer Vorzüglichkeit zukäme) dann nicht zur Verfügung stünden. - Unter dem Aspekt des Allgemeinen hat Gott daher ohne eine Aufhebung der Unendlichkeit Seiner Möglichkeiten jedes Seiner Gesetze verfügt, weil es würdig ist, und unter dem Aspekt des Speziellen ist jedes Seiner Gesetze würdig, (nur) weil Er es verfügt hat. Zugleich hat Er alles, was würdig (also ein ethischer Wert) ist, befohlen, und alles, was Er befohlen hat, ist würdig (also ein ethischer Wert).

Zu guter Letzt kommt hinzu: Weisheit ist keine ontologische Beschränkung der Macht Gottes , sondern die Pflicht zum Glauben an jene ist eine ethische Beschränkung der Annahmen des Menschen in Bezug auf Sein Tun.

Vernunftethik aus der Perspektive der Vereinzigungslehre (tawħîd)

Konkurrenz zum offenbarten Gesetz?

Nachdem das Vorangegangene sich besonders eignet, im Namen der Vernunftethik geführten Angriffen auf den Eingottglauben zu begegnen, ist auch damit zu rechnen, dass im Namen der Einzigkeitslehre die Legitimität jeglicher offenbarungsunabhängigen Ethiklehre in Frage gestellt und ein solches Unterfangen verfälschend oder zumindest unüberlegt gar als Beigesellung (shirk) abgestempelt wird. Der von dieser Seite zu behandelnde mögliche Einwand könnte lauten: „Gott allein ist der wahre Herrscher über alle Dinge, also hat auch nur Er das Recht, Gesetze zu geben; wenn apriorische Ethik aber offenbarungsunabhängig ist, haben ihre Normen anscheinend eine andere Quelle als Gott  (z.B. die Selbstheit ihres Proponenten, die begrenzte Vernunft des Menschen oder gar bloß seine Neigungen) und begeben sich in Konkurrenz zum Gesetz Gottes, weshalb die Anerkennung jeglicher apriorischer Ethik Beigesellung ist.“

Die Beantwortung des Einwandes ist einfach. Wollte Ethik oder der Ethiktheoretiker etwas gesetzgebend bestimmen6 und gründete dies geäußert oder ungeäußert auf eine andere vermeintliche, als absolut gedachte Autorität7 als diejenige Gottes, läge in der Tat Beigesellung vor. Korrekte apriorische Ethik verfolgt jedoch gar nicht den Zweck, irgendwem ein Gesetz zu aufzuerlegen oder etwas vorzuschreiben. Über das, was vorgeschrieben ist, auch nur Auskunft zu geben, liegt ihr fern. Sie beruft sich als Letztbegründung nicht einmal auf irgendeine Autorität, geschweige denn auf eine andere als diejenige Gottes (wie auch Mathematik sich zur Begründung der Gültigkeit ihrer Aussagen nicht auf Autorität beruft). Das Gleiche gilt für den rechtgeleiteten Ethiktheoretiker (m/w). Als wissenschaftliche oder philosophische Disziplin will ideale Ethik hinsichtlich der moralischen Praxis nichts bestimmen, sondern lediglich so weit wie möglich angeben, welche Haltung ein reifer und gesunder Mensch, der die optimale Grundausrichtung hat, d.h. der aus seinem Tiefsten heraus die vollkommene kategorische Bereitschaft hegt, jedem Inhaber eines Rechts sein volles Recht zukommen zu lassen, bzw. jedem objektiv Würdigen Würdigkeit vollkommen gemäß seiner Würdigkeit beizumessen, also der das wahrhaft Gute aufrichtig will, im Idealfall einnehmen würde (grob ausgedrückt).8

Apriorische Ethik (im Idealsinn) kann schon allein deswegen nicht in Konkurrenz zum offenbarten Gesetz stehen, weil ihre zentralen Urteilsbegriffe völlig andere sind als die bestimmenden Kategorien des Gesetzes. Die Urteilsbegriffe der Ethik sind unabhängig vom Konzept der Autorität: würdigunwürdig und indifferent, bzw., soweit handlungsspezifisch: obligatverwerflich und legitim. Die bestimmenden, analog erscheinenden Kategorien des religiösen Gesetzes hingegen beruhen auf Autorität und sind: auferlegt (geboten), sakrosankt (verboten) und statthaft (erlaubt). Korrekte apriorische Ethik in Person ihres Proponenten maßt sich ohne Weiteres nicht im geringsten an, etwas mit den letzteren Kategorien auszuzeichnen oder auch nur Auskunft darüber zu geben, ob sich irgendetwas, und wenn ja, was mit ihnen ausgezeichnet ist.

Derlei Missverständnisse sind insofern nicht überraschend, als zum einen die Gefahr einer irrtümlichen Verwechselung und Gleichsetzung der Urteilskategorien dadurch erhöht ist, dass durchaus alles von Gott Gebotene oder Untersagte notwendigerweise ethisch obligat bzw. verwerflich ist.9 Nur eben folgt umgekehrt allein daraus, dass eine Sache ethisch obligat oder verwerflich ist, noch nicht, dass Gott  speziell zu ihr auch eine analoge Vorschrift oder Untersagung offenbart hat. Andererseits schließt das wiederum nicht aus, dass Gott  zu jeder denkbaren Sache eine analoge Direktive offenbart hat; es kann sich nachträglich sogar als ethische Pflicht erweisen, genau hieran zu glauben. Dass damit im Geiste vieler Menschen die Illusion einhergeht, dass die genannten Urteilsbegriffe miteinander vollkommen identisch sind, sollte also nicht verwundern. - Obendrein waren und sind insbesondere abendländisch-neuzeitliche Moralphilosophien leider tatsächlich dadurch motiviert, religiöse Gesetzgebungen samt dem Glauben an die absolute Autorität des Schöpfers zu ersetzen, und bestrebt, den Anschein zu erwecken, dass die juristischen oder religiösen Kategorien unverändert übernommen werden könnten. Zementiert wurde die daraus entstandene Unsitte von der Terminologie eines einflussreichen, vom Konzept des Gesetzes geradezu besessenen Moralphilosophen wie Immanuel Kant, dessen Ausführungen unablässig um die Begriffe des Sittengesetzes, der gesetzgebenden Vernunft, der Autonomie (gesetzgeberische Selbstbestimmung) und der Heteronomie (gesetzgeberische Fremdbestimmung) usw. kreisen. Die Wahrheit ist aber: Es gibt zwar a priori Obligates und Verwerfliches, jedoch keine apriorischen Gebote oder Verbote.

Fehlender Gottesbegriff?

Es gibt jedoch einen zweiten möglichen Einwand, der vielleicht etwas verzwickter ist. Dieser könnte sich nicht nur daran stören, dass korrekte apriorische Ethik scheinbar über das allgemeine Handeln um des Höchsten willen hinaus weitere und weit konkretere Tugenden, Werte und Normen inferiert, z.B. Tugenden wie Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, oder Werte wie Leben, Vernunft und Wissen, oder Werke wie Nothilfe und Schutz der Schwächsten der Gesellschaft, ja Wertegebilde, die als ganzer Sphärenkomplex der sittlichen Ratio, als Wertegefüge oder als Wertehierarchie daherkommen.10 Er könnte obendrein daran Anstoß nehmen, dass während Werte in einer korrekten Vereinzigungslehre auf Gott  und nichts anderes zurückgehen, in den Anfangsgründen einer korrekt und konsequent ausgearbeiteten apriorischen Ethik der Gottesbegriff aber zunächst gar nicht vorkommt; dort werden Wertableitungen bereits vorgenommen und zahlreiche ethische Sätze etabliert, bevor überhaupt irgendein Gottesbegriff zur Verfügung steht. Dies kann den fatalen Anschein wecken, dass ihr zufolge objektive Werte auf etwas oder jemanden anderes zurückgingen als auf den Einen und Absoluten ...

Allerdings sollte man sich, bevor man sich diesem Anschein hingibt, den Ursatz der Ethik vor Augen führen, um erstens schon nach einem flüchtigen Blick festzustellen, dass nichts an ihm in irgendeiner noch so entfernten Weise die Rückführbarkeit aller wahren Werte auf Gott  verneint: |Würdiges ist würdig|.11 Immerhin enthält er weder eine Negation noch einen Begriff, dessen Entsprechung nicht der Allschöpfer sein könnte. Es wird ja wohl niemand ernsthaft in Frage stellen, dass Gott  die Eigenschaft der Würdigkeit zukommt...

Der Satz selbst ist übrigens nicht (und ebensowenig die „Vernunft“!) notwendigerweise der Urwertträger, von dem sich alle Werte ableiten, zumal die Letztbegründung stets lautet: ... weil Würdiges würdig ist, und nicht: weil der Satz |Würdiges ist würdig| würdig ist. Doch er „produziert“ nun mal weitere, zweifellos gültige Sätze.12 Diese sind ihrerseits Würdigkeitszuordnungen, was darauf hindeutet, dass sich schon der Ursatz auf einen echten (d.h. notwendig statt nur potentiell Würdigkeit besitzenden und faktisch statt nur hypothetisch dem Geist des Subjekts Gegenstand seienden13) Urwertträger bezieht, von dem sich die zugeordneten Würdigkeiten ableiten, zumal sonst eine Ableitung nicht möglich wäre. Bei der Betrachtung des Ursatzes lässt sich auf den ersten Blick nun kein anderer Urwertträger ausfindig machen als (objektiv und wahrhaft) Würdiges allgemein. Da dies weder ein Individualbegriff ist noch das Würdige an dieser Stelle auch nur im Geringsten spezifiziert wird, kann man zwar nicht sagen, dass der Ursatz den Allschöpfer  meine (von dem wir einen verhältnismäßig spezifischen Individualbegriff haben), aber auch nicht, dass er etwas anderes als den Allschöpfer  meine. Zunächst legt nichts am Ursatz für seinen Urwertträger irgendeine Eigenschaft fest, weder reelle Existenz noch Nicht-Existenz, weder Abzählbarkeit noch Unabzählbarkeit, weder Zusammengesetztheit noch Unzusammengesetztheit, weder Materialität noch Immaterialität, außer reine Würdigkeit.

Zugleich ist durch denselben Ursatz klar, dass nichts außer dem Urwertträger wahrhafte Würdigkeit besitzt, so dass alles andere außer ihm entweder keinerlei oder allenfalls von der seinigen abgeleitete, relative Würdigkeit besitzen kann, während seine unabgeleitet und absolut ist. Spätestens hier sollte auffallen, dass diese zunächst als einzige vorliegende Eigenschaft des Urwertträgers der apriorischen Ethik in der Theologie der Vereinzigung zugleich eine notwendige Eigenschaft Gottes ist, die ausschließlich Ihm zukommt. Dies zusammen mit der Tatsache, dass der Ursatz keinen Individualbegriff enthält und somit nichts, das unter Verdacht stehen könnte, eine andere Entsprechung als Gott  zu haben (nicht einmal Eigenschaftsgleichheit könnte einen solchen Verdacht sonst verhindern), ermöglicht jedem, der die apriorische Ethik aus der Perspektive der Vereinzigungslehre betrachtet, sie nicht nur als konfliktfrei zu ihr, sondern auch geradezu als Bestätigung dafür anzusehen, dass alle Werte auf Gott , und zwar auf Gott  allein, (letztlich) zurückgehen. In einer am Stil der Syllogistik angelehnten Veranschaulichung zeigt sich das folgendermaßen:

  1. Alle Werte gehen allein auf Inhaber absoluter Würdigkeit zurück (Apr. Ethik).
  2. Gott  ist der alleinige Inhaber absoluter Würdigkeit (Vereinzigungslehre).
  3. Alle Werte gehen allein auf Gott  zurück (Konklusion).

Langfristig ist eine derartige Vermengung von Analytik und Dogmatik nicht nötig (und erkenntnistheoretisch eine suboptimale Vorgehensweise, gelinde ausgedrückt), denn im Verlauf einer stringenten und konsequenten Ausarbeitung korrekt fundierter Ethik ergibt sich ohnehin eine vollkommene Vereinzigungslehre als notwendige Implikation. Dennoch war es wichtig zu zeigen, dass aus der Perspektive einer solchen die optimale Ethik die Werte an keiner Stelle dezidiert auf etwas anderes zurückführt als auf Gott.

Unabdingbarkeit

Obendrein ist ein a priori14 gültiges ethisches Prinzip eine unabdingbare Voraussetzung für die Gültigkeit jeglicher Vereinzigungslehre, ja ohne ein solches erweist sich echte und aufrichtige Vereinzigung als ganz und gar unmöglich. Immerhin ist |Gültigkeit| kein genuin theologischer, sondern ein (meta-)ethischer Begriff.15 Wer daher absolute Gültigkeit für irgendeine Lehre beansprucht, ist auf den Beweis einer offenbarungsunabhängigen Ethik angewiesen.

Die Unmöglichkeit einer wahrhaften Vereinzigungslehre ohne Rückgriff auf ein unabhängig von offenbarten Befehlen gültiges ethisches Prinzip lässt sich sowohl auf aufwendige16 17 als auch auf weniger aufwendige Weise demonstrieren: Der den beiden hierin entgegengesetzten Thesen gemeinsame Ausgangspunkt ist, dass Vereinzigung höheren Ranges und von größerer Würdigkeit als sein Gegenteil ist, dieses hingegen unwürdig. Nur ist der Vertreter des Gegenstandpunkts der Ansicht, dass der Grund hierfür allein sei, dass Gott  Ihn zu vereinzigen geboten habe. Dies kann er nur als alleinigen Grund ansehen, wenn für ihn von Gott  Befohlenes grundsätzlich höheren Ranges ist als sein Gegenteil (was für sich alleine genommen durchaus korrekt wäre). In Verteidigung dieser These wiederum kann er ausschließlich eine von höchstens18 vier Positionen einnehmen:

  1. Er behauptet, das sei einfach so.
  2. Er versucht, die höhere Würdigkeit inferierend abzuleiten.
  3. Er schreibt Gottesbefehlen eine spezielle Wirkung zu, durch die jenes bewirkt wird, bzw. er führt es auf Willen und Macht Gottes zurück.
  4. Er führt es auf einen unbegreiflichen, mystischen Grund zurück.

Position Nr. 1 wäre nichts anderes als eine Identifizierung der Begriffe des Würdigen und des von Gott  Befohlenen. Dies wäre ein offensichtlicher Fehler, denn nicht nur sind die beiden Begriffe prima facie unterschiedlich, sondern es ist, wie schon weiter oben erwähnt, auch klar, dass es Würdiges gibt, das nicht von Gott  befohlen ist: Gott  selbst. Die Begriffe sind also keineswegs identisch.

Mit Position Nr. 2 würde er entweder den bereits in der ersten Position enthaltenen Fehler wiederholen, oder in einen Zirkelschluss geraten, oder die Würdigkeit auf etwas außerhalb des eigentlichen Sachverhalts Liegendes zurückführen (z.B. darauf, dass Gott  von Seinem Wesen her höchste Würdigkeit besitzt, oder auf unsere Schuldigkeit unserem Schöpfer  gegenüber als Seine Geschöpfe), was mit der Aufgabe seines Standpunkts gleichbedeutend wäre.

Position Nr. 3 verwechselt die Ebenen des Ontologischen und des Axiologischen und unterstellt der Allmacht Gottes, deren Begriff spezifisch ontologischen Bezugs ist, über diesen hinaus einen axiologischen Bezug, mit dem Macht schon begrifflich überhaupt nichts zu tun hat. Dass es jedenfalls ausgeschlossen ist, dass einer Sache Würdigkeit direkt anerschaffen wird, erweist sich im Zuge der Berücksichtigung der evidenten Tatsache, dass auch Sachen, die der Realität noch gar nicht angehören und ihr u.U. niemals angehören werden, einen Wert haben können. So können beispielsweise Handlungen, die noch gar nicht getan (realisiert) wurden, schon vorab würdig oder unwürdig sein. Der erste Mord in der Menschheitsgeschichte, der Brudermord Kains an Abel war schon vor seiner Begehung als verwerflich bekannt, und kein vernünftiger Mensch würde behaupten, erst mit seiner Begehung sei er verwerflich geworden. Die Würdigkeit oder Unwürdigkeit einer Handlung kommt nicht in erster Linie ihrer realitären Ausprägung zu, sondern ihrer Kategorie, die kein Bestandteil der Realität ist. Wer meint, ein Wertzukommnis könnte eine direkte Auswirkung einer willentlichen Bestimmung oder Befehles Gottes  sein, müsste daher meinen, dass sich der Befehl auf die (noch) gar nicht in der Realität befindliche bloße Idee des jeweiligen Wertträgers auswirke. Der Widerspruch: Einerseits meint er angesichts seiner Annahme einer dem Befehl innewohnenden Wirkung, es sei etwas geschehen oder gebe etwas, das eine neue Realität (Wirklichkeit) herstelle, andererseits handelt es sich bei dem Gegenstand um gar nichts Wirkliches, sondern nur Ideelles, das seine Idealität gar nicht durch den Befehl verlässt. Bzw.: Die unausgeführte Handlung gehört zweifelsohne zur grenzenlosen Menge der urewigen Möglichkeiten Gottes (die potentielle Handlung würde durch die Macht Gottes, Realität werden, aber nur, wenn Er will). In diesen Möglichkeiten ist sie so, wie sie ist, und nicht anders, von Ewigkeit her enthalten.19 Wenn man nun behauptet, mit einem auf sie gerichteten Befehl Gottes würde sie direkt und an sich würdiger werden, käme dies der Behauptung gleich, Gott  würde sich der Möglichkeit berauben, die Handlung so in die Realität zu setzen, wie sie vor dem Befehl war, sowie der Behauptung, etwas von den ewigen Eigenschaften Gottes  sei veränderlich, ja begrenzbar. Und dies ist mit einem wahren Einzigkeitsglauben unvereinbar.

Wert bzw. Würdigkeit ist keine Eigenschaft des Wesens irgendeiner Sache außer Gott; mit einer Veränderung des Wertes einer Sache ging keine Veränderung ihres Wesens, ihrer Form oder ihres Zustands einher, und kein sonstiger Träger eines Wertes lässt sich anhand seines Wertes in irgendeiner Weise beschreiben. Die Änderung des Wertes einer Sache würde nicht im geringsten Maß eine Beeinflussung der Sache darstellen, im Unterschied zur Veränderung ihrer materialräumlichen Position oder ihrer Bewegung. Schon das Wesen von Wert und Wertzukommnis schließt aus, dass diese eine direkte Wirkung oder das direkte Ergebnis einer solchen sein könnten.

Außer sich mit der Annahme einer derartigen intrinsisch-notwendigen Wirkung von Gottesbefehlen zu verzetteln, könnte sich jemand noch auf eine extrinsisch-kontingente Wirkung derselben berufen, nämlich die Bestimmung Gottes, dass Seinen Geboten zu gehorchen Lohn und ihnen zuwiderzuhandeln Bestrafung einbringt. Eine hierauf beruhende Begründung beinhaltet aber einen bereits in Position Nr. 1 enthaltenen Fehler, und zwar die Identifizierung nicht-identischer Begriffe miteinander (hier |Würdigkeit| und |Glücksdienlichkeit|), oder den in Position Nr. 2 enthaltenen Fehler der unabsichtlichen Aufgabe des Standpunkts durch Rückführung der Würdigkeit auf etwas außerhalb des eigentlichen Sachverhalts Liegendes, dazu noch auf die Wichtigkeit der eigenen Wohlseligkeit und somit der eigenen Person statt auf Gott  und Seine Würdigkeit.

Was Position Nr. 4 betrifft, so ist sie entweder bloß eine Spezifizierung einer der Positionen Nr. 1 und Nr. 2 und beinhaltet hierdurch denselben Fehler, oder sie ist schon nach den Maßstäben der Vereinzigungslehre die verwerflichste aller vier Positionen. Denn Unentschiedenheit hinsichtlich der Quelle des Wertes eines Wertträgers geht unvermeidlich mit der Unfähigkeit einher, ihn aufrichtig und wahrhaft - mit ganzem Herzen und ganzem Verstand - wertzuschätzen.

Freilich lässt sich die Unabdingbarkeit auf noch simplere Weise demonstrieren. Dazu mögen wir uns zunächst vergegenwärtigen, um welche Einzigkeit es in der Einzigkeitslehre zu allererst geht, nämlich um die Einzigkeit Gottes in der Göttlichkeit. Nun impliziert Göttlichkeit notwendigerweise nicht nur Würdigkeit, sondern auch die absolute Vollkommenheit jeder Implikation der Göttlichkeit. Im Anschluss an diese Erinnerung sei nur noch die sich gleichsam selbst beantwortende Frage gestellt: Wessen Würdigkeit ist die vollkommenere, die desjenigen, welcher der grenzenlosen Anbetung und Liebe schon vorab und ohne jegliche Aufforderung unbedingt würdig ist, oder etwa desjenigen, der dessen nicht würdig ist, bis er sie befohlen hat?

Somit ist klar, dass wer Gott  wahrhaft vereinzigen will, dies (auch) auf der Grundlage eines apriorischen ethischen Prinzips tun muss,20 und dass jede sonstige Vereinzigung vonseiten eines Menschen allenfalls lediglich eine Pseudo-Vereinzigung ist.

Gottglaube als Basis der Ethik

Im Artikel „Die Urwahrheit - Evidenz und Mysterium“ lautet eine der Begründungen der ethischen Notwendigkeit des Glaubens an Gott: Mit der Weigerung, an Gott zu glauben, entzieht man gleichsam aller Ethik mitsamt allen möglichen Normen und Werten die subjektive Grundlage. Man würde nichts Absolutes anerkennen, auf dessen Wesen oder Willen man die Gültigkeit von Normen zu Recht zurückführen könnte. Alles erschiene letztlich als gleichgültig.

Erläuterung

Als Prämisse ist zur unzweifelhaften Erkenntnis der Gültigkeit des Arguments höchstens vorauszusetzen, dass unter der in ihm genannten Grundlage, wenn nicht die theoretisch-analytische, so doch die praktisch-wirksame zu verstehen ist: Der Mensch benötigt für echte, stabile, langfristige, konsequente und disziplinierte Moralität die Gewissheit, dass eine bestimmte Norm zu befolgen einen Wert hat und dieser entweder daher kommt, dass ein höherrangiger Wille Wert darauf legt, dass man sich an sie hält, oder daher, dass sich an sie zu halten sonstwie in einer Wertekette steht, die sich theoretisch immer höher zurückverfolgen lässt bis zu etwas Allerhöchstem und Allerwürdigstem, das aufgrund dieses Ranges nicht mehr als bloßes Ding, Konzept oder Prinzip denkbar ist. Anders gesagt: Wer den echten Willen hat, aufrichtig, langfristig und unwiderruflich zu glauben, dass es wahren ethischen Wert von irgendetwas gibt, wird angesichts der jedem Wert von Nichtgöttlichem anhaftenden offensichtlichen Abhängigkeit vom Wert von etwas Anderem und (wenn auch nicht in jedem Fall göttlichen) Werthöherem, eine allerhöchste Quelle aller Werte annehmen, deren eigener Wert unabgeleitet ist, d.h. deretwegen allein bzw. wegen ihres Wertes jedes Werthabende seinen Wert letztlich besitzt, die also allen möglichen Wert in sich vereint und somit eine unendliche und solch unfassbare Würdigkeit besitzt, dass allein schon der Gedanke des herzensreinen Individuums an sie dieses in die unbedingte und totale Hingabe, Ehrfurcht, Demut und Verherrlichung führt, mithin ihre Göttlichkeit anerkennen lässt.

Mindestens unter dieser Prämisse lässt sich kein problematischer Zirkelschluss feststellen, der sonst vielleicht hätte vermutet werden können. (Hat es wegen des Wertes gültiger Ethik einen Wert, etwas anzunehmen, von dem sich ihr Wert ableitet - wovon leitet aber jemand den Wert der Ethik ab, bevor er wegen dieses Wertes etwas annimmt, wovon dieser sich ableitet?)

Im Übrigen muss der in der Begründung vorkommende Ausdruck „gleichgültig“ nicht unbedingt im absoluten Sinne gedeutet werden, sondern auch als „relativ gleichgültig“, d.h. es geht nicht unbedingt davon aus, dass jedem hinsichtlich der reellen Existenz Gottes Entkennenden ethisch alles absolut gleichgültig ist bzw. alles als uneingeschränkt gleichgültig betrachtet, dafür aber eben als zu gleichgültig, oder: quasi absolut gleichgültig, oder: praktisch absolut gleichgültig. Seine Gleichgültigkeit wäre nämlich diejenige, welche erscheint im Vergleich zu der Differenziertheit und Höhe seiner Wertschätzungen, die er hegte, wenn er an den lebendigen Gott mit Seiner absoluten Autorität und grenzenlosen Herrlichkeit glaubte.

Wer Ethik für wichtig hält, ohne an die real-existente Gottheit zu glauben, dessen Wertschätzung der Ethik ist entweder ein bloß aus naturaler Kausalität hervorgegangener Zustand, der das Individuum um keine Stufe erhebt, oder sie gründet auf seiner Anerkennung eines Wertabsoluten, das gar nicht wertabsolut ist, oder sein Begriff von jenem ist so rudimentär und unbestimmt, die Entstehung eines diesbezüglichen stabilen Bewusstseins daher so unwahrscheinlich und infolgedessen seine Anerkennung so schwach wirksam, dass sie kaum mehr aufrichtige Wertschätzung als eben die abstrakte und flüchtige von Ethik allgemein nach sich zieht, es sei denn allenfalls, dass er sich jedes Mal mit großer mentaler Mühe den Wert von irgendetwas bewusst macht, während der Rest seiner moralisch vielleicht äußerlich (wenn überhaupt) korrekten Entscheidungen auf wertlosen Grundlagen fußt. So verbietet sich jeder Vergleich mit der Kraft und Stabilität des ethischen Bewusstseins, das mit dem Glauben an Gott als unbegreiflicher Ursprung aller Werte, als Inhaber erhabenster Attribute der Göttlichkeit wie Allmacht, Allgewahrsein und Urewigkeit, und als real-existenten Urheber aller erfahrbaren Realität, und erst recht als Inhaber absoluter Autorität grenzenlosen Ausmaßes unweigerlich einhergeht.

Einen mehr oder weniger analogen, ebenfalls harmlosen „Zirkelschluss“ enthält auch die berühmte Diagnose, der Grund, aus dem viele Menschen unglücklich seien und Erfüllung vermissten, sei, dass sie keine Ziele hätten, weshalb sie sich eben Ziele zu setzen hätten. Offensichtlich wird aber hier davon ausgegangen, dass jene Menschen durchaus bereits ein Ziel haben, nämlich etwas zu haben, was einen erfüllt und glücklich macht, glücklich zu sein, zu bleiben oder zu werden. Nur eben genügt es hierfür nicht, einfach nur eben dieses Ziel zu haben, da es zu allgemein ist, um einen in die richtige Richtung langfristig zu bewegen; dafür aber genügt dieses Ziel in dieser Perspektive wenigstens, um sich gedanklich zu bewegen, sich Ziele auszumalen und zu setzen.







1 Es sei beachtet, dass sich dieser Artikel beim Gebrauch des Ausdrucks der Apriorizität und seiner Varianten weitgehend nur auf bestimmte Stufen bzw. Begriffe der Apriorizität beschränkt., zumal es von ihr verschiedene mögliche gibt, und zwar:

Gültig/wahr/erkennbar zu sein unabhängig von („vor“) jeglicher/-m...
    ... Erfahrung (ohne jeglichen Rückgriff auf einen Erfahrungsbegriff,

    ... konkreten Erfahrung (Erfahrungsbegriffe können involviert sein),

    ... Operation des Intellekts,

    ... Bemühung des individuellen Subjekts,

    ... göttlichen Bestimmung/Willen (gleich ob legislativ oder kosmologisch),

    ... Offenbarung,

    oder: apriorische Anteile besitzend.
Es ist derweil die Bedeutung der Gültigkeit vor jeglicher willentlichen Bestimmung Gottes und vor jeder Offenbarung, auf die sich der Gebrauch des Ausdrucks im vorliegenden Artikel (anders als in anderen, allgemeineren erkenntnistheoretischen und metaethischen Texten) im Großen und Ganzen beschränkt, so dass hier nicht besonders relevant ist, inwiefern Ethik z.B. unabhängig vom Prinzip der Erfahrung ist etc. In dieser speziellen Bedeutung verstanden sei der Ausdruck auch an sonstigen Stellen in Lichtwort-Texten, in denen es um eine Gegenüberstellung oder Herstellung eines Bezugs zwischen (dem) Konzept(en) der Ethik und dem des offenbarten Gesetzes geht.
2 Zum Begriff des Würdigen siehe die Einträge §1, §3, §13, §31, §32, §38 in „Um das wahrhaft Würdige“.
3 Andernfalls müsste vielleicht gefragt werden, woher allgemein Befehlen Gottes Folge zu leisten seine Würdigkeit beziehen sollte. Weil sie: a) von Gott kommen? b) schlicht Befehle sind? c) Befehle sind und von Gott kommen? Antwort „b“ scheidet offensichtlich aus, da sonst jedem Befehl, gleich von wem oder weshalb, Folge geleistet werden müsste. Antwort „c“ postuliert die „Wirksamkeit“ der Kombination von „a“ und „b“, konstituiert jedoch einen Zirkelschluss, zumal zwischen den Begriffen der Würdigkeit und der Befohlenheit ein eindeutiger Unterschied besteht. So bleibt nur noch Antwort „a“ übrig, welche das Prinzip der befehlsunabhängigen Wertableitung stillschweigend voraussetzt.
4 Siehe hierzu in „Um das wahrhaft Würdige“: §12, §39, §40, §41
5 Falls man fragt, warum Gott überhaupt irgendeine der Formen per Befehl selektieren sollte, statt es beim Befehl der allgemeinen Handlung zu belassen und die Menschen anstreben zu lassen, ihre Angehungen über alle ihnen möglichen Formen gleich zu verteilen, so lässt sich denken, dass Gott  weiß, dass es dem allgemeinen Konzept viel gerechter wird, wenn das Individuum Gott zuliebe eine Form zugunsten der anderen unterlässt und diese andere um Seinetwillen vorzieht, auch wenn sein Verstand die betreffende konkrete Bevorzugung ansonsten nicht zu begründen imstande ist, d.h. nicht sagen kann, warum ausgerechnet die jeweilige Form befohlen wurde und keine andere. Das Individuum, das den auf seinem Intellekt beruhenden Teil seiner eigenen Würde Gott zuliebe bewusst ignoriert und übergeht, um einem Befehl Gottes Folge zu leisten, hat eher aufrichtig um Gottes willen gehandelt und die Hoheit Gottes deutlicher betont als das andere Individuum (wenn auch dieses Prinzip einen keineswegs, wie mancher vielleicht zu meinen geneigt ist, davon befreit, Imperative mit den Mitteln des Verstandes darauf überprüfen, ob sie überhaupt von Gott kommen oder nicht, und entsprechende Konsequenzen zu ziehen.). Dies gilt insofern um so mehr, als es im Fall des Ausbleibens spezifizierender Befehle mit der Gleichverteilung nicht getan ist, sondern das Individuum träfe die Wahl der Form, mit der es begönne, sowie die Wahl der restlichen Reihenfolge, während im Fall des Vorliegens eines spezifizierenden Befehls es diese Wahlen Gott überlässt und so auch unter diesem Aspekt dem allgemeinen Konzept in höherem Maße gerecht wird. (In einer Welt, in der nicht alle denk- und realisierbaren Formen gleich zusammenhanglos sind, sondern sich hierin auf verschiedenen Stufen befinden, sollte jener Sachverhalt andererseits nicht erwarten lassen, dass Gott alles Denkbare mit Befehlen bis hinunter ins kleinste Detail durchspezifiziert, da in einem solchen Fall der Mensch der Möglichkeit beraubt würde, seine für Gott gehegte besondere Wertschätzung dadurch zu praktizieren, dass er sich bemüht, Gott zuliebe nach der besten und schönsten Form zu suchen, mit der er Seinen Befehl umsetzen könnte, und diese Form schlussendlich zu wählen. Der Ehrwürdige Koran berichtet uns parabelhaft von Israeliten, die sich im Dialog mit dem Propheten Moses  genau dieser Möglichkeit beraubten: Nachdem Moses ihnen den Befehl Gottes mitgeteilt hatte, eine Kuh zu opfern, zögerten sie dies immer wieder mit Fragen nach den genauen Eigenschaften der Kuh hinaus, bis kaum oder nur noch eine Kuh übrig blieb, die in Frage kam.)
6 Hier ist freilich nicht die Bestimmung im uneigentlichen Sinne der bloß analytischen Bestimmung gemeint.
7 Zugrundezulegen ist hier der relevante unter den verschiedenen Begriffen der Autorität, nämlich derjenige der deontisch-instruktionellen Autorität, siehe §33 im Lichtwort-Artikel „Um das wahrhaft Würdige“.
8 Ebd. §39
9 Daher ist die Tradition der islamischen Jurisprudenz, im akademischen Sprachgebrauch die Termini des Vorgeschriebenen (maktûb, farD) und der Pflicht  (wâjib) austauschbar zu verwenden, gemessen an ihrem eigenen Zweck, nicht falsch.
10 Ebd. §44 , §45
11 Ebd. §29
12 Ebd.
13 Gleichwohl ist dies noch keine Aussage über die realitäre Existenz von irgendetwas.
14 Siehe Fußnote Nr. 1 zum speziellen Gebrauch des Terminus in diesem Artikel.
15 Siehe §106 im Lichtwort-Artikel „Um das wahrhaft Würdige“.
16 Die Gründe, die ein Verfechter des Konzeptes einer ausschließlich aposteriorischen Vereinzigungslehre in Beantwortung der Frage warum etwas, das Gott befiehlt, allein dadurch würdiger als sein Gegenteil sei, insgesamt geben kann, erschöpfen sich ausschließlich in den folgenden Betrachtbarkeiten der Elemente des Sachverhalts von Gottes (a) Befehl (b) einer befohlenen Sache (c) an einen Befehlsempfänger (d), einschließlich der im Sachverhalt und seinem Hintergrund enthaltenen Bezüge und Verhältnisse, so dass demnach von Gott Befohlenes höheren Ranges als sein Gegenteil ist entweder wegen: des Wesens bzw. wesenheitliche Attribute Gottes (a), der Natur von Befehlen im Allgemeinen (b), des Befohlenen allgemein, in seiner Eigenschaft, befohlen zu sein (c), der Natur der Befehlsempfänger / ihrer Eigenschaft, Befehlsempfänger zu sein (d), des Ausgangs des Befehls von Gott bzw. der Natur von Gottesbefehlen im Speziellen (a→b), der Bezogenheit von Befehlen im Allgemeinen auf irgendetwas (Befohlenes) (b→c), der Gerichtetheit von Befehlen an sie hörende Befehlsempfänger (b→d), des Verhältnisses, in welchem Gott und die Befehlsempfänger vorab (a→d) oder durch den Befehl (a→b→d) zueinander stehen, der inhaltlichen Bezogenheit des Befohlenen auf Gott (c→a), der Bezogenheit des Befohlenen auf Gott infolge der Rückführbarkeit des Befehls auf Ihn (c→b→a), der Bezugnahme Gottes auf das Befohlene (mittels eines Befehls) (a→b→c), der Macht Gottes, dem Befohlenen Realität zu verleihen (a→c), des Wissens der Empfänger um die Eigenschaften und Autorität Gottes bzw. ihr Glaube daran (unabhängig vom Befehl) (d→a), des Wissens des Empfängers um den Sender des Befehls und Seine Eigenschaften (d→b→a), oder, dass es im Befehl um die Herbeiführung bzw. Angehung des Befohlenen durch den Empfänger geht (b→d→c).
17 Direkt ausschließen oder beiseite stellen lassen sich „b“ isoliert, da sonst auch von beliebigen Geschöpfen Befohlenes allein durch Befohlenheit würdig wär, sodann „c“ isoliert, da es sich entweder auf „b“ reduzieren lässt (wenn seine Befohlenheit das Ausschlaggebende sein soll) oder aber die Gültigkeit einer apriorischen Ethik impliziert (wenn seine Natur das Ausschlaggebende sein soll), sodann „b→c“ und „b→d“ aus dem gleichen Grund wie „b“ isoliert. Sodann lassen sich „a→b“ und „a→b→d“ zu einem einzigen Punkt zusammenfassen, bzw. letzteres ist allein schon deswegen nicht begründungsfähig, weil ja gerade nach dem Grund gesucht wird, warum eben dieses Verhältnis begründungsfähig ist (Zirkularität). Bloße Macht zur Realisierung des Befohlenen unabhängig von dem Befehl wie in „a→c“ ist für die Fragestellung entweder irrelevant, oder das Verhältnis ist hier äquivalent zu „a→b“. Desweiteren fällt „a→b→c“ weg, da es entweder „a→b“ entspricht oder aber, wie es ja eigentlich gemeint ist, durch die Unabhängigkeit von Konzept des Befehls mit dem Standpunkt des Gesprächspartners nichts zu tun hat. Das Verhältnis „c→b→a“ kann für den Gesprächspartner nicht wichtiger sein als oder auch nur ebenso wichtig sein wie das Verhältnis „a→b→c“, zumal es sich zu ihm wie ein Schatten zu seinem Gegenstand verhält. Aufgrund der Unabhängigkeit vom Konzept des Befehls wird „d→a“ für ihn ebenfalls uninteressant sein, und selbst sein Einbezug in „d→b→a“ ändert nichts daran, dass der Schwerpunkt nicht auf ihm liegt, sondern etwas, das eher als Argument für apriorische Ethik taugt, so dass beides beiseite zu stellen ist. Derweil lässt sich das recht banale „b→d→c“ auf „b“ reduzieren. Begründungen mit „a“, „a→d“ und „c→a“ sind allesamt Begründungen auf Basis apriorischer Prinzipien und laufen dem Standpunkt des Gesprächspartners zuwider. Punkt „d“ ist äquivalent zu „b→d“, oder falls es um die Natur der Befehlsempfänger geht, irrelevant, da er dem Gesprächspartner nicht wichtiger sein kann als „a“ oder auch nur ebenso wichtig. Es verbleibt ausschließlich die Begründung mit „a→b“, mit der sich die Ausführungen im weiteren Verlauf des Haupttextes auseinandersetzen.
18 Entweder er meint, es habe einen Grund (Positionen Nr. 2-4), oder, es habe keinen Grund (Position Nr. 1). Wenn er meint, es habe einen Grund, kann er ihn entweder als erkennbar einstufen (Nr. 2 und 3), oder als unerkennbar (Nr. 4). Stuft er ihn als erkennbar ein, kann er ihn entweder im Bereich des Präskriptiven und der Werte (Nr. 2) oder im Bereich des Deskriptiven und der Fakten verorten (Nr. 3). Zur Dichotomie von Fakten und Werten siehe auch „Urteil und Erkenntnis“.
19 Zugleich neben ihr in der Menge der Möglichkeiten Gottes enthaltene erweiterte oder reduzierte Varianten von ihr sollen damit freilich nicht ausgeschlossen werden, nur tritt eben keine von ihnen zu irgendeinem Zeitpunkt oder in irgendeiner Situation ersetzend oder verdrängend an ihre Stelle.
20 Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass jeder sich mit abstraktiv-dialektischen Herleitungen beschäftigen muss; vielmehr genügt es, dass die vereinzigende Anbetung aus der aufrichtigen Anerkennung der Gott ureigenen, unendlichen Würdigkeit und Herrlichkeit heraus geschieht, sowie in der Anerkennung wurzelt, dass Er  als unser Schöpfer und Erweiser der größten Wohltaten die Ihn vereinzigende Anbetung auch unabhängig von jeder anderen Grundlage verdient.