Entstehung von Erde und Atmosphäre - Lehrbuchaussagen

Zur Entstehung von Erde und Atmosphäre heißt es in Sure 79:27-33: Seid ihr etwa schwerer zu erschaffen als der Himmel? Er erbaute ihn: Er erhob seine höhere Schicht, worauf Er ihn ausformte und seine Nacht finster machte und sein Vormittagslicht hervorholte. Und die Erde1 hiernach richtete Er an2: Er brachte ihr Wasser und ihre Weide aus ihr hervor. Und die Berge verankerte Er. Als Nießbrauch für euch und euer Vieh.

Offenbar ist hier nicht hauptsächlich vom „astronomischen“, sondern vom atmosphärischen Himmel die Rede, erkennbar daran, dass ihm hier die Attribute von Tag und Nacht zugeordnet werden, sowie auch das Attribut der „höheren Schicht“ (samk3).

Den Versen nach zu urteilen entströmte die Atmosphäre dem Erdinneren, denn der „Himmel“ entstand ihnen zufolge schrittweise (Er erbaute ihn) und nahm kontinuierlich an Höhe zu (Er erhob seine höhere Schicht).

In dem Standardwerk „Allgemeine Geologie“ von Prof. Dr. Frank Press und Prof. Dr. Raymond Siever von der Harvard University heißt es: „Wie entwickelte sich die Erde aus einer Materieansammlung zu einem Planeten mit Kontinenten, Ozeanen und einer Atmosphäre? Die Antwort ergibt sich aus der Differenziation der Erde - der Umwandlung von einem willkürlichen Gemisch aus Materieklumpen zu einem Körper, der aus einzelnen Schalen besteht, die sich in ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften deutlich unterscheiden. Diese Differenziation erfolgte bereits in einem sehr frühen Stadium der Entwicklung, als der Planet ausreichend hohe Temperaturen erreicht hatte, damit Schmelzprozesse einsetzen konnten. [...] Mit den frühen Schmelzvorgängen innerhalb der Erde begann der Prozess der Differenziation, vielleicht das wichtigste Ereignis in der Geschichte der Erde. Sie führte zur Bildung der Erdkruste und schließlich auch zur Entstehung der Kontinente. Dabei gelangte leichteres Material in die äußeren Bereiche der Erde und ermöglichte das Entweichen der noch leichteren Gase aus dem Erdinneren (es handelt sich um eingeschlossene Reste des ursprünglichen Sonnennebels). Dies führte schließlich zur Bildung der Atmosphäre und der Ozeane. Auch heute werden als Begleiterscheinung von Vulkanausbrüchen noch immer Gase freigesetzt. All diese Prozesse begannen mit den ersten Schmelzvorgängen der Erde.[...] Man geht heute davon aus, dass die Entstehung der Ozeane sowie der Atmosphäre auf Vorgänge innerhalb der Erde zurückgehen: beide sind Produkte der Erwärmung und Differenziation des Erdinneren. Einige Geowissenschaftler vermuten allerdings, dass die Ozeane und die Atmosphäre außerhalb der Erde entstanden seien [...] Die Argumentation der Geologen, die eine Entstehung aus dem Erdinneren bevorzugen, ist Folgende: Ursprünglich war das Wasser in bestimmten Mineralen eingeschlossen, das heißt, es war in Form seiner Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff in Mineralen chemisch gebunden; in ähnlicher Weise war dieses wohl auch bei Kohlenstoff und Stickstoff der Fall. Als sich das Erdinnere dann aufheizte und teilweise aufschmolz, wurden Wasserstoff, Stickstoff, Kohlendioxid und andere Gase freigesetzt und gelangten mit den Magmen an die Oberfläche, wo sie bei Vulkanausbrüchen in die Atmosphäre gelangten.

Es muss in Anbetracht der Koranverse viel Vulkanaktivität oder ähnlich Dampf- oder Aschewolken Erzeugendes gegeben haben, denn erst nach Beginn seiner Ausformung wurde strahlendes Tageslicht möglich (worauf Er ihn ausformte und seine Nacht finster machte und sein Vormittagslicht3 hervorholte).

Die Gase, die vor gut vier Milliarden Jahren durch vulkanische Entgasung aus dem heißen Erdinneren abgegeben wurden, bestanden möglicherweise aus denselben chemischen Substanzen, die auch heute von Vulkanen freigesetzt werden: Wasserdampf, Wasserstoff, Kohlendioxid, Stickstoff und einige andere Gase.

Typisch für entströmende Gase und Dämpfe, war der atmosphärische Himmel zunächst unregelmäßig bzw. uneben geformt, oder anders als heute zusammengesetzt (worauf Er ihn ausformte - sawwâ („ausformen“) bedeutet auch „ebnen“).

Diese Uratmosphäre hatte also eine völlig andere chemische Zusammensetzung als die heutige Atmosphäre, die bekanntlich überwiegend aus Stickstoff (77 Prozent) und Sauerstoff (20,7 Prozent) besteht.

Der Vers muss aber nicht unbedingt auf die Zusammensetzung abzielen und kann auch die geometrische Form der Atmosphäre meinen, die aufgrund der Erdgravitation immer ebenmäßiger wurde.

Erst nach der Ausformung der Atmosphäre jedenfalls entstanden Flussquellen und Landpflanzen. Tatsächlich wird die Besiedelung der Erde durch Landpflanzen in ein viel späteres Zeitalter eingeordnet - in das sogenannte Ordovizium vor höchstens 488,3 Millionen Jahren.

Wann die Gebirge zu entstehen begannen, ist an der Versgruppe nicht zu sehen, da nur von ihrer Stabilisierung die Rede ist, was eher eine Endphase der Gebirgsentwicklung sein wird. Doch aus syntaktischen Gründen ist auch die genaue Chronologisierung dieser Stabilisierung anhand der Versgruppe nicht wirklich möglich. Lediglich aufgrund des Anscheins lässt sich vielleicht sagen, dass den Versen zufolge die Stabilisierung nach oder mit dem „Anrichten“ der Erdbodens erfolgte.

1 arab. arD; bedeutet auch: Land oder Boden.
2 Die Übersetzung „breitete aus“ ist unsicher. Das entsprechende, schon damals seltene arabische Wort daħâ دحا wird semantisch als mit daħħa دحّ weitgehend identisch angesehen und kann im Arabischen bedeuten: „aufblähen“, „geräumig machen“, „füllen“, „stoßen“, „werfen“, „einstampfen“, „schlagen“, „bewachsen lassen“, „anwachsen lassen“. Goldschmidt übersetzt: „Und die Erde bereitete er hinterher.“ - Doch aufgrund der Syntax und auch nach der Meinung von Ibn Abbâs, dem wichtigsten Koranexegeten, ist die Erläuterung des Wortes in dem darauf folgenden Satz zu suchen: Er brachte ihr ....
3 samk bezeichnet im Arabischen Schichtförmiges, das erhöht ist, und ist auch eine Bezeichnung für das Dach eines Hauses. Daher wohl auch sumk für die Dicke eines flachen Gegenstandes, und samak für den Fisch, den man sich in der naiven, die Sprache eher prägenden Vorstellung flach oder zumindest im Wasser in einer gewissen Höhe schwebend vorstellt.
3 arab. Doħâ assoziiert hell strahlendes Vormittagslicht.
4 sawwâ („ausformen“) bedeutet auch „ebnen“.