Wozu das Diesseits, wenn Gott allwissend ist?

Wenn, wie der Koran sagt, Gott alles weiß, und auch schon vor der Erschaffung der Seele weiß, wie sie in ihrem Leben handeln würde, könnte Er sie doch direkt ohne den Zwischenschritt des irdischen Lebens in das Paradies oder das Feuer eingehen lassen. Ist der Zwischenschritt denn nicht sinnlos und somit ein Widerspruch zu dem Vers: Und wir erschufen die Himmel und die Erde nicht umsonst ? Bzw. ist das vom Koran erwähnte „Prüfen“ nicht ein Widerspruch zu seiner Aussage, Gott sei allwissend?

Hiermit ist kein Widerspruch feststellbar, denn:

  • Gott {s.w.t.} betont im Koran, dass Er tut, was Er will. Diese absolute Freiheit gehört zu Seiner Hoheitlichkeit. Dies zu demonstrieren, ist ebenfalls eine der Sinngebungen für die Existenz von Mensch und Universum. Am besten erfolgt eine solche Demonstration in Vorgängen, deren Sinn nicht erkennbar ist. Somit ist auch die Nichterkennbarkeit eines Sinns letzten Endes sinnvoll.
  • Das Wissen der Seele um ihre im irdischen Leben zustandegekommenen Taten erzeugt in ihr Zufriedenheit, wenn sie sich im Paradies befindet, und ist somit eine der vielen Formen der paradiesischen Barmherzigkeit, und erzeugt in ihr Reue und Leid und ist somit eine der vielen Formen der Pein, wenn sie sich im Feuer befindet. Wissen setzt jedoch Realität voraus.
  • Im Paradies werden die guten Seelen, im Feuer die schlechten Seelen verewigt. Wer jedoch sagt, dass reale Taten zur Güte oder Schlechtigkeit einer Seele metaphysisch nicht genauso eng gehören wie der Glanz zum Gold oder noch enger? Immerhin ist das Wesentliche an einer ethischen relevanten Handlung der Impuls, und dieser wurzelt ja im Subjektkern des Handelnden und gehört somit eng zu ihm. Dieser „Glanz“ mag subjektiv als zeitlich dem Eintritt ins Paradies vorausgehend wahrgenommen werden - objektiv muss diese Wahrnehmung jedoch keine Rolle spielen.
  • Das irdische Leben ist eine Prüfung - jedoch nicht, weil Gott {s.w.t.} nicht wüsste, wie die Seelen handeln würden. Vielmehr soll die Seele ihren Aufenthalt in Paradies oder Feuer verdient haben7. Darum muss eine gewisse Mühsal und Geduld in der Realität zustandekommen, wie z.B. beim Widerstand gegen Versuchungen.
  • Wie bei dem Wort „Prüfung“ assoziiert man im ersten Moment auch bei „Experiment“ oder „Versuch“ einen Wissensmangel des Experimentierenden, zu dessen Beseitigung das Experiment durchgeführt wird. Dennoch bleibt man sinnvollerweise bei „Experiment“ bzw. „Versuch“, auch wenn z.B. der Physiklehrer den Versuch zu Lehrzwecken vor der Schulklasse ausführt und den Ausgang im Voraus genau kennt.
  • Der Koran benutzt für „prüfen“ die arabischen Verben balâ und ibtalâ. Ihre Bedeutung setzt nicht zwingend ein Unwissen des Prüfenden voraus. Sie eignen sich als Synonyme für verschiedene Wörter („selektieren“, „sich bewähren lassen“, „heimsuchen“).
7 Zwar ist die Barmherzigkeit Gottes gegenüber den Paradiesbewohnern wiederum so groß, dass eigentlich keiner von ihnen den dortigen Aufenthalt verdient hat, aber dennoch lässt sich z.B. vom relativen Verdienthaben reden, d.h. im Vergleich der Seelen untereinander, oder gemessen an besonders erleichterten Maßstäben, o.a.


Widerspruchsfreiheit zu naturwissenschaftlichen Fakten: Übereinstimmung mit anderen externen Fakten: Theologie und Dogmatik: Ethik: Geschlechtergerechtigkeit:
Innere Widerspruchsfreiheit: Sonstiges: